Es ist ziemlich genau sechs Jahre her, als ich in einen Minibus mit der Aufschrift „Banana Shuttle“ stieg. Der sollte uns aus dem Regenwald von Taman Negara auf die Insel Penang bringen, einmal quer durch Westmalaysia. Ich freute mich, das Schweizer Pärchen wiederzusehen, das schon mit mir im Bus von Kuala Lumpur in die Cameron Highlands saß und mit dem ich von dort nach Taman Negara weitergereist war. An die Namen der beiden kann ich mich nicht mehr erinnern, sehr wohl aber an unsere Unterhaltung auf der zehnstündigen Fahrt nach Penang. Vor allem an die Frage, die ich gestellt bekam. Was ist Deine Leidenschaft? Dieses Gespräch schoss mir wieder durch den Kopf, als ich mir Gedanken zu diesem Artikel gemacht habe, mit dem ich an der Blogparade „Leidenschaft“ der IronBloggerMUC teilnehme.
Was ist Deine Leidenschaft? Diese Frage hat mich damals überfordert. Ich wusste erst gar nicht genau, was sie meinte. Hobbys? Dinge, die ich gerne mache? Ich zählte meine Hobbys auf. Lesen, Wandern, Kino, Verreisen. Klingt ähnlich aufregend wie Briefmarkensammeln, Kochen und Stricken. Und es war auch nicht das, worauf mein Gegenüber hinauswollte. Sie meinte keine Hobbys. Sie wollte wissen, was meine Passion ist, für was ich brenne. Ein Amerikaner habe ihr und ihrem Mann vor ein paar Wochen dieselbe Frage gestellt. What’s your passion? Und ihnen erzählt, dass er das immer frage, wenn er neue Leute kennenlernt und dass die Antwort sehr viel über einen Menschen aussage. Da hat er recht, der Amerikaner.
Ja, was war meine Leidenschaft? Ich dachte weiter nach. Trotz Grübeln fand ich keine andere Antwort. Im Nachhinein weiß ich: Das einzige, für das ich damals brannte, war mein Job. Für den brannte ich zu sehr, doch das ist ein anderes Thema. Ich konnte stundenlang über meine Arbeit reden, erzählen, wie es war, in die strategischen Themen des Unternehmens eingebunden zu sein, bei der Hauptversammlung zuzuhören, wie jemand die Rede vortrug, die ich geschrieben hatte. Doch war das eine Leidenschaft? Funkelten beim Erzählen meine Augen? Steckte ich die Menschen an, denen ich davon erzählte? Wohl kaum.
Leidenschaft: Enthusiasmus, glänzende Augen und alles um sich herum vergessen
Meine wahre Leidenschaft habe ich erst in den letzten paar Jahren entdeckt. Nachdem ich den besagten Job aufgegeben habe. Nachdem wieder Platz war für anderes. Ich habe nicht nach ihr gesucht, nach dieser Leidenschaft. Es hat mich gefunden, dieses „etwas, das einen Menschen befallen kann“. So lautet eine der vielen Definitionen von Leidenschaft. Und es nicht nur eine Leidenschaft, es sind mehrere.
Für mein Umfeld ist es offensichtlich, welches diese Leidenschaften sind. Als mein Vater auf der Facebook-Page von „Traveling the World“ die Ankündigung zu dieser Blogparade gelesen hat, schrieb er mir, er sei schon gespannt. Ich antwortete, dass das, was er zu lesen bekäme, sicherlich keine große Überraschung für ihn werden würde, er kenne doch meine Leidenschaften. Ja, die kennt er, schrieb er. Reisen, Schreiben, Yoga.
Wie gut er mich kennt. Mich und meine Leidenschaften. Die Themen, über die ich stundenlang ohne Punkt und Komma mit Begeisterung sprechen kann. Für die ich Enthusiasmus und Begeisterung empfinde. Bei denen meine Augen anfangen zu glänzen. Bei denen ich die Zeit vergesse, in einen Flow komme. Hinter denen ich mit voller Überzeugung stehe. Bei denen ich unbändige Sehnsucht bekomme. Die aber auch manchmal schmerzen können, mich leiden lassen, beispielsweise wenn ich sie nicht so ausleben kann, wie ich es möchte. Wenn ich am liebsten wieder meinen Rucksack packen würde, mir aber die Vernunft sagt, dass ich erst einmal wieder Geld verdienen sollte. Wenn mein Kopf voller Gedanken ist, die ich gerne in meinem Blog niederschreiben möchte, der Schreibtisch aber voll mit anderer Arbeit ist.
Reisen – mein Lebenselixier
Reisen ist für mich nicht, einfach mal drei Wochen herauszukommen aus meinem gewohnten Umfeld, aus meinem Alltag. Reisen ist für mich ein Lebenselixier geworden. Das ist mir in den dreieinhalb Monaten, die ich zuletzt in Indien war, erneut bewusst geworden. Ich brauche es, dieses Eintauchen in eine andere Welt, eine Welt, die ich faszinierender finde als meine Heimat. In der ich mich anders fühle als hier. In der ich mich lebendiger fühle, in der ich noch neugieriger bin als sonst, offener und kompromissbereiter. Reisen ist eindeutig meine größte Leidenschaft, ohne die ich mir mein Leben einfach nicht mehr vorstellen kann.
Ich reise nicht, um mich zu erholen, um Urlaub zu machen. Ich reise, um mir neue Inspirationen zu holen. Diese Leidenschaft hat auch einen klitzekleinen Haken. Wenn ich auf Reisen bin, bin ich immer auf der Suche nach einer neuen Geschichte. Das heißt, mein Hirn rattert immer. Wenn ich reise, reisen meine anderen Leidenschaften mit, das Schreiben und das Fotografieren. Im Herbst hatte ich das Glück, alle diese Leidenschaften zu verbinden. Für Agenturen zu reisen und zu schreiben und zu fotografieren für deren Blogs. Ein unbeschreibliches Gefühl, das ich in Zukunft hoffentlich öfters haben werde.
Mein Blog – mein Herzensprojekt
Aus meinem Sabbatical vor vier Jahren ist dieser Blog entstanden. Worte, Buchstaben, Sätze, Schreiben, Lesen, das war schon immer etwas, das mich begeistert hat. Sei es beim Scrabblespielen oder Kreuzworträtsel lösen als Kind oder beim Verschlingen von Büchern. Mir hat zwar auch das Schreiben für meinen Job immer sehr viel Spaß gemacht, doch beim Verfassen einer Pressemitteilung zu den Quartalsergebnissen bin ich noch nicht in einen Flow gekommen.
Anders beim Schreiben für meinen Blog. Aus einer spontanen Idee ist ein Herzensprojekt entstanden, ein Baby, das ich hege und pflege. Für das ich auch so manchen Samstag oder Sonntag oder Abend hergebe. Für das ich auf meiner letzten Indienreise viele Nachtschichten eingelegt habe und für das ich während der Yogalehrerausbildung meinen freien Sonntag hergegeben habe. Wo ich die Erlebnisse meiner Reisen, die in mir arbeiten und nachwirken, niederschreiben kann, nochmal erleben kann. Das Schöne ist: Durch mein Herzensprojekt haben sich mir neue berufliche Perspektiven eröffnet. Mit einer Leidenschaft Geld verdienen, ist das nicht wunderbar?
Fotografieren – mit der Kamera in die Seele schauen
Die Kamera, die ich im September kurz vor meiner Abreise gekauft habe, liegt seit meiner Rückkehr unbenutzt im Schrank. Ich fotografiere am liebsten Menschen auf der Straße und Straßenszenen, München ist dafür nicht mein bevorzugtes Pflaster. Ich habe immer wieder Reisende getroffen, die sagen, sie lassen ihre Kamera zu Hause, weil sie ihre Reise direkt erleben wollen, nicht durch die Kamera. Ich habe meine Kamera auf Reisen immer dabei. Und sie ist auch immer im Einsatz. Zum Ende meiner letzten Indienreise war ich nochmal eine Woche in Pondicherry. Eine Woche Monsun, die Kamera blieb in der Wohnung. Ich hatte schon fast Entzugserscheinungen. Denn obwohl ich zum dritten Mal innerhalb von zwei Monaten in dieser zauberhaften Stadt in Tamil Nadu war, entdeckte ich immer wieder Szenen und Momente, die ich festhalten wollte. Ich konnte es kaum erwarten, wieder zu fotografieren.
In der Woche, die ich vor meiner Rückkehr in München in Madhya Pradesh verbracht habe, mussten meine Fahrer sehr viel Geduld mitbringen. Ich wollte unbedingt hier noch einen Spaziergang machen, dort eine Runde durch ein Dorf drehen. Mit der Kamera. Die Kamera ist für mich ein Mittel der Kontaktaufnahme geworden auf diesen Reisen. Gerade Menschen sieht man durch die Kamera nochmal ganz anders. Es ist, als ob ich durch die Linse in ihr Innerstes schauen kann, wenn ich auf ihr Gesicht fokussiere, auf ihre Augen. Seitdem ich ernsthaft fotografiere, habe ich eine Aufmerksamkeit für Details entwickelt. Meine Antennen sind immer auf Empfang, meine Augen immer auf der Suche. Fotografieren macht mich glücklich. Ich kann es kaum erwarten, auf meiner nächsten größeren Reise wieder unvergessliche Momente auf diese Weise einzufangen.
Yoga – der Gipfel des Flows
Als ich 2002 das erste Mal auf einer Yogamatte stand, sprang der Funke nicht direkt über. Gefühlt standen wir 90 Minuten im nach unten schauenden Hund. Ich langweilte mich, auch wenn die Lehrerin im Fitnessstudio sich redlich bemühte, in dem Raum, in dem sonst zu Tae Bo und Step Aerobic geschwitzt wurde, mit Räucherstäbchen und einer tibetischen Klangschale etwas Atmosphäre zu schaffen. Die Zündung kam erst, als ich das erste Mal ein Jivamukti Yoga Studio betrat. Seitdem hat mich Yoga in den Bann gezogen.
Wenn ich auf der Yogamatte stehe, vergesse ich alles andere. Es existieren nur noch der Hund, die Kobra, der Krieger und ich. Ich erzähle gerne davon, wie es sich anfühlt, Yoga zu praktizieren. Von dem Glücksgefühl, dass sich nach der Praxis einstellt. Von dem Gefühl des Beschwingtseins. Von den Muskeln, die einem Rückmeldung geben. Von der Leichtigkeit, die ich spüre. Ich erzähle gerne von den Wochen im Sivananda Ashram in Kerala, von den Yogastunden in Rishikesh, von der Yogalehrerausbildung in Goa. Von dem Nutzen, den Yoga im Alltag bringen kann. Yoga, aus einer Neugier, aus dem Gefühl „Das möchte ich mal ausprobieren.“ ist eine Leidenschaft geworden.
Blogparade #IronBloggerMUC: 30 Tage Leidenschaft
Die #IronBloggerMUC eint zwei Leidenschaften: Bloggen und Bier. Nachdem wir 2015 bei unserer ersten Blogparade so viel Spaß hatten, haben wir beschlossen, uns auch 2016 einen Monat lang einem ausgewählten Thema zu widmen. Das Thema „Leidenschaft“ war unangefochtener Spitzenreiter bei der Abstimmung. Egal ob Strickblog, Kochblog oder Reiseblog, zu „Leidenschaft“ hat wohl jeder etwas zu sagen. Und wenn es nur darum geht, keine einzige, große Leidenschaft zu besitzen, weil man zu viele Interessen hat. So hat Claudia von „Claudia plaudert“ gestern davon erzählt, wie sie eine Leidenschaft nicht gefunden hat. Morgen geht es weiter mit Esther von „edyssee“.
Und Ihr? Wie ist es um Eure Leidenschaften und Leidenschaftlichkeit bestellt? Spürt Ihr es in Euch, das Feuer für eine bestimmte Aktivität? Bei der Ihr alles um Euch herum vergesst? Ohne die Ihr nicht mehr leben könnt? Ich freue mich auf Eure Kommentare!
Julia
6. April 2016 at 14:58Ganz wunderbar! Mit mindestens zwei der Leidenschaften kann ich mich auch identifizieren 🙂
Alexandra
6. April 2016 at 15:02das freut mich! und danke für das lunch-date <3. bis ganz bald, auf der yogamatte oder beim in reiseerinnerungen schwelgen! alles liebe, alex
Robert
8. April 2016 at 9:30Sehr schöner Beitrag, liebe Alex, vor allem: “Die Kamera ist für mich ein Mittel der Kontaktaufnahme geworden auf diesen Reisen” und was Du sonst noch über das Fotografieren schreibst. Genau deshalb ist Fotografieren eine meiner Leidenschaften. Ein paar andere gibt es auch noch. Und Dein Artikel bringt mich dazu, mir sie wieder bewusst zu machen. Danke!
Alexandra
8. April 2016 at 10:00Vielen Dank, lieber Robert! Sich seiner Leidenschaften bewusst zu werden, kann ich nur empfehlen! Bei mir sind es tatsächlich auch noch ein paar mehr, aber ein paar Geheimnisse muss ich mir ja noch bewahren, wo ich schon immer so einen Seelenstriptease hier auf dem Blog mache. Wobei, die sind eigentlich auch ganz einfach zu erraten, u.a. gutes Essen und gute Bücher :-).
ItineraMagica
10. April 2016 at 10:59Ich entdecke deinen Blog und habe mich in diesen Text sofort verliebt. Ich weiss, dass es sich merkwürdig anhört, weil wir uns doch gar nicht kennen, aber ich denke, wir haben viel gemeinsam (sogar den Vornamen ;-))! Diese Leidenschaft, von der du so schön sprichst, gibt auch meinem Leben einen Sinn und ich kann deine Gefühle sehr gut nachvollziehen. Ich mag deinen Ton! Ich werde hierher zurückkommen. Falls du auch meinen Blog entdecken möchtest, würde ich mich sehr freuen. Ich warte gespannt auf deine nächsten Reisen!
Alexandra
10. April 2016 at 12:20Liebe Alexandra, ich freue mich sehr, dass wir uns heute virtuell begegnet sind und Du dich in meinem Text wiederfindest. Komme gerade von einer Erkundungstour auf Deinem Blog zurück und kann nur sagen: Ich werde ebenfalls wiederkommen! So traumhaft schöne, literarische Texte findet man selten in einem Reiseblog, ich bin total begeistert! Und schön, dass wir denselben Vornamen tragen, da muss es weitere Gemeinsamkeiten geben :-). Liebe Grüße, Alexandra