Ich bin fernwehkrank, fernwehgeplagt. Nahezu ständig. Ohne Unterlass. Pausenlos. Woran das liegt und wie ich mit diesem Virus, der sich so hartnäckig bei mir eingenistet hat, umgehen soll, versuche ich seit einiger Zeit auf den Grund zu gehen. Durch Zufall bin ich diese Woche über ein Blog mit dem bezaubernden Namen „ferngeweht“ gestolpert. Und über die Blogparade „Was bedeutet für dich Fernweh?“. Sabine, die auf ihrem Blog vom Glück des Reisens erzählt, möchte von „Ferngewehten“ wie mir wissen, ob wir trotz des vielen Reisens immer noch manchmal Fernweh verspüren. Ob diese Rastlosigkeit, die sich bei uns Reiseaficionados breit macht, sobald wir nach unserer Rückkehr aus der Ferne wieder heimischen Boden unter den Füßen spüren, vielleicht noch einen anderen Namen trägt. Und was wir dagegen tun, wenn dieses Gefühl hochkommt, auf der Stelle wieder den Koffer packen zu müssen.
Fernweh setzt sich zusammen aus „Fern“ und „weh“. Ja, Fernweh tut im wahrsten Sinne des Wortes manchmal richtig weh. Fernweh ist wie eine chronische Krankheit. Ein Krankheit, die einen jeden Tag begleitet, die immer da ist, die unheilbar ist. Die unterschwellig in einem gärt, auch wenn sie manchmal ruhigere Phasen hat und mit einer guten Medizin zumindest vorübergehend in Schach gehalten werden kann. Die, wenn sie wieder ausbricht, äußerst schmerzhaft sein kann. Die einen innerlich wie äußerlich unruhig macht. Die die Hummeln im Hintern zum Tango tanzen bringt. Die für kribbelige Füße sorgt, einen zappelig macht, so dass man nicht mehr still sitzen kann. Die einem den Atem nimmt, einen fast klaustrophobisch macht. Die die innere Stimme laut rufen lässt „Fort von hier, fort von hier!“. Die ein tiefes Gefühl der Sehnsucht auslöst, ein Gefühl, nicht hier sein zu wollen, sondern woanders, weit weg.
Wanderlust: Sehnsucht nach der Fremde und nach Freiheit
Mein Fernweh hat weniger mit dem von vielen gehegten Wunsch zu tun, bei dem grau-tristen Novemberwetter in unseren Breiten in wärmere Gefilde zu fliehen. An einen Ort am Meer, an dem man seine Füße in den feinen, weißen Sand eines palmengesäumten Strands buddeln und sich wegträumen kann. Nein, mein Fernweh ist nicht der Wunsch nach einer einsamen, exotischen Insel inmitten eines türkisblauen Meeres, dem Sinnbild des Fernwehs. Mein Fernweh sitzt tiefer. Mein Fernweh ist eine Wanderlust. Eine Wanderlust, wie sie der Straßenkater Thomas O’Malley in Aristocats besingt.
Eine Wanderlust, die Musiker wie Paul McCartney, R.E.M. und Mark Knopfler zu Songs über Sehnsucht und Freiheit inspiriert haben.
Eine Wanderlust, die die deutschen Romantiker in ihrer Lyrik beschrieben haben als eine Sehnsucht nach Fremde. Als eine Hoffnung, in der Fremde, in der Ferne etwas zu finden, das man zu Hause vergeblich sucht. Als einen Drang, sich aus der Enge seiner Verhältnisse aufzumachen und eine Welt zu suchen, die Freiheit und Selbständigkeit verspricht. Aber auch als ein Ausdruck des Heimwehs, dem Wunsch nach Heimat, dem Wunsch, sich selbst zu finden.
Fernweh gleich Heimweh?
Fernweh und Heimweh – das, was so gegensätzlich, so widersprüchlich klingt, liegt eigentlich sehr nah beieinander. Zwei Seiten einer Medaille, wie Ying und Yang. Oder wie der deutsche Lyriker Erich Limpach so treffend formuliert hat: „Das Fernweh ist nichts anderes als Sehnsucht der menschlichen Seele nach sich selbst“. Ich habe zwar meine Heimat in München gefunden, wo ich seit nunmehr 15 Jahren lebe. Doch angekommen bin ich in vielerlei Hinsicht immer noch nicht. Eine ewig Suchende, deren Wanderlust von Jahr zu Jahr, von Reise zu Reise größer wird. Die es nach jeder Rückkehr schwieriger findet, sich hier wieder zurecht zu finden. Die sich in der Ferne, in der Fremde heimischer fühlt als hier. Obwohl oder vielleicht genau weil sie dort, in Indien, in Südostasien, oftmals ähnlichen Dingen nachgeht wie hier zu Hause. Sich vor allem auf längeren Reisen auch eine Art Alltag etabliert, mit einem Tagesrhythmus, Ritualen, Lieblingsorten und einem neuen sozialen Umfeld. Die sich damit in der Ferne ein Stück Heimat schafft, jedoch frei und fernab von den Zwängen und Konventionen, die zu Hause warten.
Doch habe ich bisher auf meinen Reisen das gefunden, was ich gesucht habe? Den Mut zur Veränderung, zum ultimativen Neubeginn? Mir geht es ein bisschen wie Hermann Hesse, der 1911 in Genua ein Schiff bestieg, um in einer Phase der Neuorientierung, der Entwurzelung in seinem alten Leben, nach Indien zu reisen. Für Hesse wird die Indienreise eine Enttäuschung, er schreibt später, dass ihm weder eine echte Begegnung mit dem Land geglückt sei, in dem seine Mutter geboren ist, noch habe er eine innere Befreiung erfahren.
“Got to go now, get on that bus, me and the wanderlust”
Als im Sommer mein Job dem Rotstift zum Opfer gefallen ist, habe ich nicht sofort angefangen, Bewerbungen zu schreiben. Der Gedanke daran schnürte mir die Kehle zu. Ich habe mir statt dessen ein Flugticket gekauft und bin zwei Wochen später erneut nach Indien geflogen, obwohl ich erst im März für drei Wochen in meinem Jahresurlaub dort war. Ich habe jede Minute dieser knapp zwei Monate genossen, neue Facetten dieses unglaublichen Landes entdeckt, wunderbare Menschen kennengelernt. Und mich während der Wochen in Ladakh und Kaschmir so frei und leicht wie ein Vogel gefühlt.
Mir ist es gelungen, dieses wunderbare Gefühl der Freiheit einzufangen und mit nach Hause zu nehmen. Gekoppelt mit neuen Plänen. Es blieb mir sogar eine ganze Weile erhalten. Es war viel los, Freunde hier treffen, Freunde dort treffen, eine Hochzeit, sich wieder einrichten. Inzwischen ist der Alltag eingekehrt, der Boden der Realität sehr nah. Die alten Themen, die ich weggepackt habe, kommen wieder hoch, wie bei der Büchse der Pandora. Der Mut, den ich mitgebracht habe, schwindet. Ich spüre, wie sich die Wanderlust schon wieder meldet. Sie fühlt sich jedoch dieses Mal an wie ein Fluchtversuch. Ich glaube, ich werde der Wanderlust für den Moment Einhalt gebieten. Versuchen, meine Heimat hier und vor allem in mir zu finden. Denn ich habe eines erkannt: Bei meinem Fernweh geht es um die Suche nach mir selbst. Doch eines weiß ich auch ganz genau. Trotz all dieser Erkenntnis wird es früher oder später bei mir auch wieder heißen:
Sabine von Ferngeweht
22. November 2014 at 21:51Wie schön, über die Blogparade Deinen Blog kennengelernt zu haben – ist ab jetzt abonniert! Vielen Dank für den schönen Beitrag!
Alexandra
23. November 2014 at 9:53das freut mich :-). hat mir spaß gemacht, mitzumachen, ein wunderschönes thema!
Sonya | soschy on tour
30. November 2014 at 23:39Ich mag das Wort Wanderlust total, viel mehr als Fernweh. Das Gefühl von Freiheit und Entdeckungsdrang sollten wir uns wirklich immer mit nach Hause nehmen und möglichst nicht verlieren. Ich hoffe, du findest deine Heimat. Vielen Dank für deinen tollen Beitrag, dank dem ich selbst noch bei der Blogparade teilgenommen habe.
Alexandra
1. Dezember 2014 at 15:16vielen lieben dank, sonya. die wanderlust wird mich immer begleiten, denn ich werde immer die welt entdecken wollen. deinen beitrag habe ich natürlich auch direkt gelesen, wunderschön! noch ganz viel spaß in neuseeland!
Sascha Finkenstein
29. Januar 2017 at 8:57Schade das in den vielen Blogs über Fernweh das Fernweh immer als Krankheit bezeichnet oder mit ihr verglichen wird. Wie kann etwas Krankhaft sein, was unserem tiefsten Herzen entspringt und uns glücklich macht, wenn wir dieser unsichtbaren Macht nachgeben? Ist dieser Gedanke, es sein abnorm nicht eher von einer krankhaften und fehlgeleiteten gesellschaftlichen Erwartungshaltung impliziert? Allein schon das Wort ‘Erwartungshaltung’ beinhaltet doch schon sich für jemand anderen zu verbiegen. Wenn das Herz verreist, tut man gut daran ihm zu folgen, sonst wird es da wo man bleibt ziemlich lieblos. Ich starte in wenigen Tagen auf meinen ganz eigenen Trip. Ich laufe von Lübeck nach Santiago de Compostela und wieder zurück. Natürlich mit Abstechern zu einigen für mich sehenswerten Orten. Geplant habe ich im November zurück zu sein. Mit herzlichen Grüßen Finke
Alexandra
2. Februar 2017 at 7:48Hallo Sascha, ja, da hast Du sicherlich recht. Der Begriff “Fernweh” ist typisch für unsere deutsche Sprache, und diese melancholischen, sehnsüchtigen Gefühle, die uns die Dichter der Romantiker hinterlassen habe, denen die Sehnsucht auch “aus tiefstem Herzen entsprungen ist”. So ist die deutsche Seele,immer etwas melancholisch und eher das Glas halb leer sehen ;-). Bei der von Dir erwähnten “gesellschaftlichen Erwartungshaltung” kann ich in dem Zusammenhang nur bedingt mitgehen, insofern, dass Langzeitreisen und digitales Nomadentum bei vielen noch eine hochgehobene Augenbraue hervorruft. Ansonsten ist das Reisen für mich persönlich tatsächlich eine Herzenssache, der ich so oft wie möglich zu folgen versuche. Dir viel Spaß auf dem Trip nach Santiago, das klingt aufregend! Liebe Grüße, Alexandra