„Die Königin möchte das so“ – auf den Spuren der ladakhischen Königsfamilie

Mist, das wird heute nichts mit dem Weiterflug nach Srinagar, ist mein erster Gedanke, als ich morgens um kurz nach fünf die dicken roten Vorhänge öffne und aus dem Fenster schaue. Um die Gipfel der gegenüberliegenden Bergkette wabern fiese, dicke, grauschwarze Wolken. Kurzeitig sind die Berge völlig eingehüllt. Der heftige Wind schiebt die Wolken weg, bis sich eine neue Wand auftürmt. Leh liegt auf einem Hochplateau, auf 3.500 Metern, umrundet von Sechstausendern, Siebentausendern und ein paar Achttausendern. Fliegen mit Radar ist hier nicht, die Piloten brauchen freie Sicht.

Ich fahre trotzdem zum Flughafen. Und finde mich nach einem stornierten Flug und einer „Adoption“ durch eine vierköpfige, französische Familie fünf Stunden später in Leh wieder, im Open Hand Café, meiner Lieblings-Schreib-Entspann-und-Nachdenk-Stätte. Ich überlege, was ich mit diesem verlorenen Tag, an dem ich mitten in der Nacht aufgestanden war, anfangen soll. Andererseits, ist es nicht auch ein geschenkter Tag? Obwohl ich ganze vier Wochen in Ladakh verbracht habe, fehlen tatsächlich noch ein paar Ausflugsziele auf der Liste. Zum Beispiel der Königspalast in Stok, 14 Kilometer südlich von Leh, am Fuße des majestätischen Stok Kangri, den man mit seinen 6.135 Metern und seinem schneebedeckten Gipfel schon aus der Ferne sieht.

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Königspalast in Stok, Tee mit der Gyalmo Namgyal?

Vielleicht kann ich auf einen Tee bei der Königsfamilie vorbeischauen? Der weiße Palast oberhalb des kleinen Dörfchens Stok beherbergt tatsächlich die Nachfahren der letzten ladakhischen Königsdynastie. Diese musste Mitte des 19. Jahrhunderts abdanken, als Indien sich das einst eigenständige Königreich Ladakh einverleibte und die Königsfamilie aus ihrem alten Palast in Leh vertrieben wurde.

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Ich merkte ziemlich schnell, den gemeinsamen Tee kann ich mir abschminken. Von König und Königin, Prinz und Prinzessin, die heute übrigens immer noch mit ihren Titeln Gyalpo, Gyalmo, Gyallu und Gyalmo Chhunun angesprochen werden, ist weit und breit keine Spur. Ein Großteil der 77 Zimmer ist zugesperrt. Ein paar liebevoll bepflanzte Blumentöpfe zeugen von einem Hauch Privatem, ansonsten sind alle Türen verriegelt. Sogar die des Museums.

Ich würde mir gerne die prachtvollen Schmuckstücke der Königin und die 500 Jahre alten Thankas anschauen. Deswegen war ich ja unter anderem hergekommen. Ob man mir den Raum aufschließen kann, frage ich die diensthabende Museumswärterin. Ich möge doch bitte warten, bis ein paar mehr Besucher zusammen kämen, dann könne sie die Tür aufschließen. Seltsame Sitten. Die Königin möchte das so, erfahre ich. Aha. Als ich endlich eines der Gemächer betreten darf, fühle ich mich irgendwie verfolgt. Die Wärterin wird mein Schatten, folgt mir auf Schritt und Tritt. Ob sie Sorge habe, dass ich etwas anfasse oder mitnehme, frage ich. Die Königin möchte das so. Die Königin wird mir immer unsympathischer. Blöde Kuh.

Vertreibung der Königsfamilie durch Dogra-Armee

Wobei, spaßig ist das Schicksal sicherlich nicht, das ihre Vorfahren erlitten haben, vertrieben und der königlichen Privilegien beraubt. Die Namgyal-Dynastie stand fast vier Jahrhunderte an der Spitze des Himalayreiches, bis 1834 10.000 Dogra-Krieger in Ladakh einfielen und sich der Kommandant Zorawar Singh im Köngispalast in Leh breit machte. Die Dogras und der Kommandat, dem Nachnamen zu urteilen ein Sihk, hinterließen ein Schlachtfeld. Die Briten interessierte dieser indische Alleingang zunächst herzlich wenig. Gut zehn Jahre später, als die Briten auch die heute geltende Grenze zwischen Indien und Tibet festlegten, wurde Ladakh kurzerhand an die Maharadjas des muslimischen Jammu-Kaschmir verhökert. Das ist der Bundesstaat, zu dem das buddhistische Ladakh heute noch gehört.

Ich habe versucht, herauszufinden, was die Nachfahren der Königsfamilie heute machen. Die Informationen, die das Internet hergibt, sind spärlich. Die Familie führe ein normales, weltliches Leben, heißt es. Was auch immer ein „normales, weltliches“ Leben in Indien bedeutet. Sie bewohnt einen Trakt im Palast in Stok, der übrigens ähnlich wie das Kloster von Thikse nach dem Vorbild des Potalala-Palastes in Lhasa erbaut wurde. Wenn sie nicht gerade irgendwo repräsentative Aufgaben wahrnimmt oder in Delhi in einer Parlamentssitzung hockt, wo die Familie einen Dauersitz hat. Ich lese irgendwo, dass die letzten Nachfahren angeblich 1966 und 1997 geboren sind. Und dass der Palast in Leh trotz der Vertreibung im Besitz der Familie blieb, man jedoch kein Geld hatte, ihn zu unterhalten. Um den mittelalterlichen Bau  vor dem kompletten Verfall zu schützen, wurde er vor einiger Zeit an eine archäologische Stiftung verkauft, die sich um den Wiederaufbau kümmert. Tatsächlich wurde fleißig gezimmert und gepinselt, als ich an einem meiner ersten Tage in Leh, noch nicht höhenluftakklimatisiert, keuchend den Palastberg hinauf geschlichen bin. So sollen die prächtigen Malereien und Holzschnitzereien von einst restauriert und der Palast wie in Stok zum Museum umgebaut werden.

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Sollte es mich wieder einmal nach Leh verschlagen, werde ich sicherlich einen Abstecher auf den Palastberg machen. Ich werde erneut durch die Gassen der Altstadt schlendern, vorbei an der großen Gebetsmühle, die steilen Stufen hinauf und die letzten paar Hundert Meter wieder schnaufen wie eine alte Dampflok. Aber der Weg lohnt sich alleine schon wegen der großartigen Aussicht. Und ich möchte gucken, ob trotz der Renovierungsarbeiten mein Lieblingsgraffiti noch übrig geblieben ist …

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