„Bam Bam Bole“ – bei den kiffenden Shiva-Jüngern in Rishikesh

Ich habe tatsächlich mein Hotelzimmer in Rishikesh verlassen – trotz des heftigen Regens, der die schlecht asphaltierten Gassen in Swarg Ashram und den Kiesweg Richtung Lakshman Jhula in eine Schlammpiste verwandelt. Und trotz der Warnung des Hotelmanagers vor den grölenden Shiva-Jüngern in Orange, die den sonst so beschaulichen kleinen Ort am Ganges in eine Art Rock am Ring verwandelten. Schließlich war ich ja nicht hergekommen, um im Hotelzimmer darauf zu warten, nach fünf Tagen wieder zurück nach Delhi zu fahren. Also hinein in die Jack-Wolfskin-Jacke, in der ich innerhalb von Minuten klitschnass geschwitzt war (Goretex eignet sich nicht für den indischen Monsun) und in die Wanderstiefel (mit denen wurde ich zwar immer komisch gemustert, aber sie waren das einzig Wahre, um den tiefen Pfützen zu trotzen). Und hinein in das Getümmel.

„Bam Bam Bole, Bam Bam Bole.“ Da war er wieder, dieser Klang, dieser Liedfetzen, den ich seit meiner Ankunft in Rishikesh nicht mehr aus dem Kopf bekam. Die jungen Männer, zum Teil noch Teenager, die mir auf dem Weg zu meinem Lieblingsfrühstückslokal mit dem besten Müsli in ganz Nordindien entgegenkamen, waren schon wieder in ihrem Element. Wie zur Bekräftigung ihres „Bam Bam Bole“ schlugen sie im Takt die Fäuste in die Luft. Einige schauten etwas angestrengt. Andere warfen sich bäuchlings in den Schlamm. Eine Ehrerbietung vor Lord Shiva, zu dessen Huldigung sie hier nach Rishikesh gekommen waren.

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Den Schleier der Unwissenheit lüften

Und wieder zog ein süßer Duft an meiner Nase vorbei. Marihuana. Beziehungsweise Ganja, wie dieses Kraut hier in Indien genannt wird. Ganja ist im Hinduismus eng mit Lord Shiva verbunden. Es gilt als heilige Pflanze. Der Gott mit dem Dreizack hat angeblich Marihuana geraucht und sich damit in andere Sphären katapultiert. Seinem Beispiel folgten nicht nur die Sadhus, Yogis und Asketen, die Ganja zur Bewusstseinserweiterung und dem „Lüften des Schleiers der Unwissenheit“ rauchten, sondern auch die Blumenkinder. Die kamen in den 60er- und 70er-Jahren aus dem Westen über den Landweg ins Ganjaland, nuckelten mit den Sadhus an der Chilum und glaubten an die Heilung der materialistischen westlichen Gesellschaft durch den Konsum von Ganja. Ob die Shiva-Jünger, die jedes Jahr im Juli anlässlich der Kanwar Yatra nach Rishikesh kommen, auch auf der Suche nach der ewigen Wahrheit sind oder sich einfach nur mal einen kleinen Rausch anrauchen wollen, sei dahin gestellt. Ich unterstelle ihnen eher hedonistische Beweggründe …

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Heiliges Gangeswasser “For Take Away”

Neben einem orangefarbenen T-Shirt und einem Joint in der Hand gehörte ein weiteres Utensil zur Uniform der Shiva-Jünger: Eine durchsichtige Plastikflasche mit rotem Deckel. Die hatte ich in verschiedenen Größen schon hundertfach bei den Verkäufern an den Ghats gesehen. Einige hatten direkt mehrere Flaschen an einer Schnur um den Hals hängen. In den Behältnissen war Wasser aus dem Ganges, der zu dieser Jahreszeit eine schmutzigbraune Farbe hatte und nicht sehr vertrauenserweckend wirkte. Doch das „Ganja Jal“, das heilige Gangeswasser, wurde auch nicht zum Trinken in die Flaschen verpackt, sondern war zum Mitnachhausenehmen. Das Wasser kommt in den Dörfern der Pilgernden zum Einsatz, entweder wird der lokale Shivatempel damit geweiht, oder die Shivastatue im heimischen Altar. Ich habe gelesen, sogar Autos, Rikschas und Motorräder werden anlässlich der Kanwar Yatra mit Gangeswasser gewaschen. Der Name „Kanwar Yatra“ stammt übrigens von dem Namen der Flaschen – „Kanwar“.

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Die „Kanwarias“, so werden die Pilger genannt, erfreuen sich nicht unbedingt großer Beliebtheit bei den Einheimischen. Man stelle sich vor, in ein kleines Dorf in Deutschland fällt für zwei Wochen eine grölende Horde junger Männer ein, die den ganzen Tag „Bam Bam Bole“ kreischen, kiffen und im Dorfgasthof bis zum Morgengrauen feiern. In meinem Hotel waren zum Glück keine Kanwarias der Rowdysorte untergebracht. Ruhig war es auf meinem Gang trotzdem nicht. Die einheimischen Touristen lieben es, bei ohrenbetäubender Lautstärke fernzuschauen. Dabei lassen sie gerne die Türen offen, um dem Nachbarzimmer etwas zuzurufen, ohne sich vom Bett erheben zu müssen. Aber das ist ein anderes Thema …

Der öffentliche Konsum von Ganja ist in Indien eigentlich den Sadhus vorbehalten, den heiligen Männern. Doch während der Kanwar Yatra drückten die anwesenden Polizisten alle Augen zu. Um sich einen genaueren Überblick zu verschaffen, hätten sie sich von ihrem Beobachtungsposten am Fuße der Ram Jhula Bridge fortbewegen müssen. Doch man hatte sich hier ganz gemütlich eingerichtet, mit einem Becher Tee in der Hand, ein Schwätzchen hier, ein Schwätzchen da …

Sadhus – die heiligen Wanderer

Unter all den pilgernden Jünglingen gingen die Sadhus, die sonst das Bild in Rishikesh prägen, fast etwas unter. Zumindest mieden sie das Getümmel in Swarg Ashram. Sie hatten ihre Lager in den „Gangesauen“ Richtung Laxman Jhula aufgebaut, einzeln oder in Gruppen. Dort sah man sie, in ihren orangefarbenen und roten Roben, verfilzten, aufgetürmten Dreads und langen Bärten und einem Bündel, in dem sie ihr Hab und Gut mit sich herumtragen. Anlässlich der Kanwar Yatra schienen noch mehr dieser heiligen Männer als sonst den Weg nach Rishikesh gefunden zu haben.

Im Gegensatz zu dem Gros der Pilger ging es bei den Sadhus ruhig und gesittet zu. Und zu rauchen schien auch niemand. Ich habe aber bisher auch eigentlich noch keinen Sadhu mit einer Chilum gesehen, weder in Rishikesh noch anderswo. Vielleicht machen sie das nur in irgendwelchen abgelegenen Felsenhöhlen zum Meditieren. Oder sie sind gar keine echten Sadhus. Die meisten, die ich in Rishikesh antraf, hockten einfach nur herum, lasen Zeitung oder machten ein Schläfchen. Den ein oder anderen konnte man beim Meditieren auf einem der Felsen im Fluss erspähen. Den in rosaorange gekleideten, jüngeren Sadhu, der einen Dreispitz bei sich trug, kannte ich schon. Dem begegnete ich irgendwie jeden Tag.

Das mit den Sadhus in Indien ist auch so ein Thema für sich. Von den einen als Inkarnation Shivas in menschlicher Gestalt verehrt, von den anderen als mit Asche beschmierte, nichtsnutzige Landstreicher verachtet, wandern sie durch die Lande. Traditionell zu Fuß, ich habe jedoch auch schon einen Sadhu in einem Bergdorf in Darjeeling in einen Jeep steigen sehen. Und an Bahnhöfen sieht man sie auch häufig. Die Sadhus haben ihrem weltlichen Leben entsagt. Sie befinden sich im Sannya. Das ist die letzte der vier Stufen des Lebens, das der Dharma, die Ethik des Hinduismus, als erstrebenswert ansieht und die als Weg zur Erlösung gilt. Sie sind Aussteiger, tragen ihre wenigen Besitzttümer mit sich herum, schlafen in Hauseingängen oder vor Tempeln. Sie arbeiten nicht und leben von dem, was man ihnen schenkt. So zumindest die Theorie. Eine moderne Sonnenbrille, ein Handy und die Lektüre der Tageszeitung gehört nach meinen Begriffen irgendwie nicht zu einem asketischen Leben …  Doch vielleicht gehört das auch zum modernen Leben, dass die Digitalisierung und Informationsbeschaffung auch vor heiligen Männern wie den Sadhus nicht halt macht.

Mehr Fotos von den Sadhus in Indien findet Ihr übrigens auf “Nimesha – Travel Photography by Alexandra Lattek”.

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