Kaschmir VII: Mit der Shikara auf dem Dal Lake – Pralinen vom “Delicious Man”

Der letzte Tag mit Nazir war angebrochen, Mittags sollte es wieder zurückgehen nach Srinagar. Mister Pinkfarbene Pumphose hätte sich lieber einen gemütlichen Vormittag gemacht – wahrscheinlich wäre er gerne nochmal Angeln gegangen -, doch ich hatte Hummeln im Hintern und wollte unbedingt noch eine letzte kleine Bergtour machen. Hätte ich gewusst, dass sich der von oben so idyllisch aussehende Rückweg entlang des Flusses als Labyrinth aus Steinmauern, Rohren und Stacheldraht entpuppte, hätte ich es mir sicherlich vorher gut überlegt, ihn dazu zu überreden. Nach meinem unfreiwilligen Flussbad auf der Trekking-Tour in Ladakh hatte ich ein gespaltenes Verhältnis zu solchen Kletterpartien über Wasser. Vielleicht hätte ich es bei einem ruhigen Spaziergang zu den Tempelruinen belassen sollen. Wasser sollte ich in Srinagar sowieso noch genug um mich herum haben, denn ich hatte mich für die restlichen Tage in Kaschmir nochmals auf einem Hausboot einquartiert, dieses Mal auf dem Dal Lake, dem größeren der beiden Seen.

Ich wäre zwar lieber auf die idyllische Lily of Nageen zurückgekehrt, doch die war zum einen ausgebucht, zum anderen gehörte eine Übernachtung auf dem Dal Lake definitiv zu einer Kaschmir-Hausboot-Erfahrung dazu. Zwar hatte auf dem Nageen Lake auch der ein oder andere fliegende Händler mit seiner Shikara an der Hausboottreppe Halt gemacht, um seine Waren feilzubieten, doch ansonsten ging es dort sehr gemächlich zu, im Gegensatz zum trubeligen Dal Lake. Hier lässt man sich mit der Shikara zu den direkt am Wasser gelegenen Geschäften fahren und kommt beladen mit Kaschmirteppichen, -schals und -schmuck wieder zurück. Die größte Attraktion ist eine Fahrt mit der Shikara morgens vor Sonnenaufgang zu den schwimmenden Märkten, wo die Gemüsebauern aus der Region mit ihren Zwiebeln, Blumenkohlköpfen, Kohlrabi, Kartoffeln und Blumen untereinander Handel betreiben, nach zwei Stunden wieder mit ihren Booten wieder davonschippern, um die Waren auf dem Markt in der Altstadt oder in den Gemüseläden der Vororte weiter zu verkaufen. Eine weitere Attraktion waren die schwimmenden Lotusgärten. Durch solche hatte ich mich zwar auf dem Nageen Lake auch schon paddeln lassen, aber auf dem Dal Lake sollten sie angeblich noch prächtiger sein.

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Natürlich hatten die Karnais Verwandte mit einem Hausboot auf dem Dal Lake, Ajaz’ Onkel. Next stop also: H. B. Parimahal. Ajaz’ Bruder und seine beiden kleinen Töchter brachten mich noch mit dem Jeep in die Stadt und überließen mich an einem der Wassertaxistände meinem Schicksal. „Shikara, Madame. Shikara, Madame“. Die Shikara-Mafia wartete schon auf mich, dasselbe Kaliber wie die Rikscha-Mafia an den Bahnhöfen. Ja, ich brauchte eine Shikara, um mit meinen Siebensachen über den See zu meinem neuen Zuhause zu kommen. Aber mit Sicherheit wollte ich nicht den Touristenwucherpreis zahlen, den man von mir wollte, auch wenn ich dafür eine der in türkisblaumitbuntenvögelchen gestrichenen Luxus-Shikaras mit Plüschkissen und Baldachin für mich alleine hätte haben können. Was sollte ich mit so einer großen Dschunke, in der sich mit Vorliebe indische Großfamilien oder indische Männergruppen durch die Gegend rudern lassen? Mir würde so ein einfaches, schmales Holzboot genügen, von denen ich schon einige gesichtet hatte. Das seien Privatboote, hieß es. Die Shikara-Mafia wollte mich bestimmt wieder nur veräppeln. Irgendwann einigten wir uns dann auf die Hälfte des Preises. Und alle waren happy.

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Auf der Parimahal war ich erst einmal gar nicht so happy. Die Lily of Nageen war deutlich schöner und geräumiger. Die Außensitzecke der Parimahal war eine Miniaturausgabe der Veranda auf der Lily of Nageen, die Holzbank lud nicht gerade zu stundenlangen Lesestunden bei Kaschmiri-Tee ein. Als ich im Bad meiner Kabine den Wasserhahn in der Hand hatte, durfte ich zumindest ohne größere Diskussionen in das größere Zimmer umziehen. WLAN gab’s nicht, ich könne aber seinen Laptop benutzen, meinte der Cousin von Ajaz, der das Hausboot managte. Wir mochten uns irgendwie von Anfang an nicht so wirklich. Ich deute nur mal an, welche Art von Seiten die Chronik des Browsers zeigte, als ich versuchte, ins Internet zu kommen … Besser den Laptop schnell wieder zuklappen. In der Stadt gab es bestimmt Internet-Cafés. Als er es sich im Wohnzimmer vor dem Fernseher mit seiner Zigarettenschachtel gemütlich machte, um sich der Fußballweltmeisterschaft zu widmen, kam ich mir irgendwie deplatziert vor. Was soll ich bloß hier?

Der nächste Morgen wurde nicht besser. Der rauchende Sohn hatte inzwischen den Platz freigemacht für den jungen, schmächtigen Angestellten, der mir das Frühstück brachte. Dass ich den labbrigen Toast gerne getoastet haben würde, konnte er nicht verstehen und als ich fragte, ob es vielleicht Butter gäbe, zuckte er nur die Achseln. Irgendwann verstand er mich dann doch und paddelte mit dem Toast davon, um es bei der Familie toasten zu lassen, die auf einem Hausboot hoffentlich nicht mehrere Seemeilen entfernt wohnten. Ich suchte inzwischen in der Küche nach Butter. Leider hatte ich das Loch in den Holzplanken unter mir übersehen, und befand mich plötzlich mit einem Bein eine Etage tiefer. Es hat ungefähr sechs Wochen gedauert, bis die riesigen blauen Flecken an meinem Oberschenkel nicht mehr zu sehen waren. Wahrscheinlich schlechtes Karma, weil ich auf getoastetem Toast bestanden hatte und mich am Vorabend mit dem rauchenden, fußballguckenden Sohn gekabbelt hatte.

Wie auch immer, ich gewöhnte mich auch an die Parimahal. Auch daran, dass ich ständig beim Frühstück und Abendessen mit vollen Backen auf der Veranda von den vorbeischippernden indischen Touristen fotografiert wurde. Auch wenn ich Nachmittags hier saß und las, winkten mir ständig irgendwelche Leute zu. Vielleicht sollte ich kurz erwähnen, dass die Parimahal ihren Stellplatz direkt in der Einfallschneise in Richtung Floating Markets hatte und jede, aber auch wirklich jede Shikara auf dem Dal Lake hier vorbeifuhr. Aber ich wollte die Nähe zur Stadt sowieso nutzen, um ein paar Dinge an Land zu erledigen, Bargeld besorgen, mich um meine Weiterreise kümmern, ein bisschen shoppen gehen. Doch von der Parimahal wegzukommen, war nicht so einfach.

Es war wie in der Stadt: Wenn man unbedingt ein Taxi braucht, sieht man garantiert nur welche, die schon besetzt sind. So war es auch mit den Shikaras. Und tatsächlich waren die kleinen meistens Privatboote. Das war mir zu Anfang jedoch nicht ganz klar. Nachdem ich zehn Minuten an der Treppe der Veranda versucht hatte, eines der Wassertaxis dazu zu bewegen, mich mitzunehmen, wurde mein Ruf „Shikara? 50 Rupees?“ endlich erhört. Ein junger Mann stoppte. Ich wollte gerade den Preis mit ihm verhandeln, da lachte er und sagte, ich könne umsonst mitfahren. Es sei ein privates Boot und er sei auf dem Weg in die Moschee. War mir das peinlich. Wer konnte das denn ahnen. Er beruhigte mich und sagte, das sei doch kein Problem. Er machte sogar einen kleinen Umweg zu dem Shikara-Stand gegenüber, bevor er weiter Richtung Moschee paddelte.

Man hörte aus der Ferne schon den Muezzin rufen, ein mir mittlerweile vertrautes Klangspiel, seitdem ich in Kaschmir war, denn es war Ramadan. Hoffentlich kam er nicht wegen mir zu spät. Dass man beim Ramadan pünktlich zum Gebet erscheinen sollte, lernte ich am nächsten Tag, als ich die beiden Tuniken, zu deren Kauf ich mich hatte überreden lassen, vom Schneider abholen wollte. Wo ich denn bleibe, er habe schon auf mich gewartet. Seine Kollegen seien schon ungeduldig, weil sie während des Ramadan immer zusammen in die Moschee gingen. Offenbar hatten wir uns missverstanden. Was für den einen „ab 11.00 Uhr“ ist, ist für den anderen „um 11.00 Uhr“. Offenbar lauerten hier lauter Fettnäpfchen auf mich.

Mit Ajaz’ Onkel, der mich am nächsten Morgen zu den Floating Markets paddeln sollte, gab es glücklicherweise keine Missverständnisse bezüglich der Uhrzeit und wir legten pünktlich um kurz nach fünf in der Früh mit dem kleinen Holzboot ab. Eigentlich so gar nicht meine Uhrzeit, doch ich paddelte mit, ein bisschen Frühsport konnte ja nicht schaden. So hatte ich auch kein schlechtes Gewissen, dem „Delicious Man“ ein paar seiner köstlichen Pralinen abzukaufen und direkt auf dem Boot zu kosten, während wir uns mit unserer kleinen Shikara unter die Händler mischten, ihnen beim Aussuchen und Abwiegen der Ware zusahen und ich mir dachte, dass ich in München sicherlich niemals auf die Idee käme, mich morgens um diese Uhrzeit in die Großmarkthallen in Thalkirchen zu verirren.

Apropos München: Mit einem Blogpost zur schönsten Stadt der Welt geht es übrigens direkt morgen hier weiter. Wenn Ihr wissen möchtet, warum es dieses Mal nicht um Indien geht, was es mit den Iron Bloggern auf sich hat und wie es so als Zugeroaste in Minga ist, schaut doch direkt wieder hier vorbei!

P.S. Ich dachte schon, ich hätte Nazir, meinen Trekking-Guide, auf einem der Gemüsehändler-Boote entdeckt. Aber pinkfarbene Pumphosen schienen bei den Kaschmiri in Mode zu sein ;-).

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