Kaschmir IV: Zwischen Moscheen und Mogulgärten – Sightseeing in Srinagar

Eigentlich bin ich es gewohnt, auf meinen Reisen sehr selbständig vor Ort unterwegs zu sein. Organisierte Sightseeing-Touren sind mir grundsätzlich ein Gräuel. Ich schnappe mir meinen Reiseführer, schaue mir den Stadtplan an und überlege, wie ich am besten von A nach B komme. Für die Strecken, die ich nicht zu Fuß zurücklegen kann – mein bevorzugtes „Transportmittel“ -, weiche ich je nach örtlichen Gegebenheiten auf öffentliche Verkehrsmittel aus, nehme mir eine Rikscha respektive ein Tuk-Tuk oder steige auch schon einmal in ein Taxi. Auf diese Weise erkunde ich all die Orte, die ich auf meinen Reisen besuche, egal ob Metropolen wie New York, Delhi, Mumbai oder Shanghai, kleinere Städte oder ländliche Regionen.

Ich möchte selbst bestimmen, wann und wo ich aussteige und wie viel Zeit ich wo verbringe. Wenn ich weiß, dass jemand auf mich wartet, verspüre ich eine gewisse Unruhe. Dieses Gefühl, nicht Herr meiner selbst zu sein, verstärkt sich noch, wenn ich einen solchen Trip von jemand anderem organisieren lasse, sei es von einer Reiseagentur oder dem Hotel. In der Regel sind solche fertig geschnürten Pakete nicht nur unendlich viel teurer als wenn man die Sachen selbst organisiert, man ist auch ziemlich unflexibel.

So bin ich zunächst auch sehr zurückhaltend, als Papa Karnai sich zu mir auf die Veranda der Lily of Nageen setzte und mir sowohl einen Sightseeing-Tag in Srinagar als auch eine Trekkingtour im Kaschmir Valley vorschlägt. Natürlich will ich mir sowohl die Sehenswürdigkeit in der Stadt ansehen als auch ein paar Tage in den Bergen verbringen. Für die Trekkingtour hatte ich auch tatsächlich vor, mir in Srinagar einen Guide zu besorgen, da ich natürlich nicht alleine das kaschmirische Hochgebirge durchwandern wollte. Aber mich von einem Fahrer im klimatisierten Auto für 2.000 Rupien einen Tag lang durch Srinagar kurven lassen? Nein, das kommt überhaupt nicht in die Tüte. Völlig überteuert und unnötig.

Ich würde für solche Unternehmungen immer eine Rikscha nehmen, sage ich ihm. Ich könne doch bestimmt vorne an der Hauptstraße eine Rikscha anhalten und mit dem Fahrer einen Deal ausmachen. Das sei viel zu unsicher, man würde den Fahrer ja nicht kennen und er würde mich unter Garantie preislich über’s Ohr hauen. Da kennt Papa Karnai mein Verhandlungsgeschick nicht … Trotz aller Freundlichkeit und Gastfreundschaft beschleicht mich ein leises Gefühl, dass er bei allem, was er mir anpreist, auch an sich und seinen Geldbeutel denkt und sicherlich eine ordentliche Provision für ihn hängenbleibt. Schließlich ist er auch Geschäftsmann. Als ich sage, dass mir seine Preise ziemlich hoch erscheinen und ich es mir überlegen würde, ist er ein wenig beleidigt.

Und ich werde ein wenig nachdenklich. Nach vier Wochen Indien bin ich es ein wenig überdrüssig, immer aufzupassen, dass mich keiner über’s Ohr haut. Und immer verhandeln zu müssen, weil man sonst irgendwie immer übervorteilt wird in diesem Land. Und will ich mich wirklich bei der glühenden Hitze vorne an die Straße stellen und Verhandlungsgespräche führen? Und dies womöglich auch noch mehrere Male? Mir nach den einzelnen Stationen einen neuen Fahrer suchen? Und wollte ich als Auftakt meiner Erkundung an Land – ich hatte ja seit meiner Ankunft vom Flughafen bislang keinen Fuß vor das Hausboot gesetzt – alleine durch die Altstadt laufen, wo mir doch einige Frauen, die ich in Ladakh kennengelernt hatte, von unangenehmen Erfahrungen bei solchen Solo-Erkundungen in Kaschmir berichtet hatten? Ich plaudere ein wenig mit dem Pärchen aus Kalkutta, meinen neuen Mitbewohner auf der Lily of Nageen. Sie hatten mit einem Fahrer die Sehenswürdigkeiten von Srinagar abgeklappert und ich lasse mir ein paar Tipps geben, was ich mir unbedingt ansehen muss. Und was ich maximal für eine Tour mit der Rikscha bezahlen soll.

Okay, was soll’s. Unabhängigkeit hin oder her, dann lasse ich mir eben von Papa Karnai einen Rikschafahrer besorgen, der mich einen Tag lang durch Srinagar und Umgebung kurvt. Gesagt, getan. Eine Stunde später sitze ich auf dem Rücksitz der Rikscha eines jungen Mannes in traditioneller weißer Kluft. Vorne neben ihm hockt ein kleiner Junge mit Sonnenbrille und Rugbyshirt, sein Sohn, der ihn heute am schulfreien Samstag begleiten darf.

Mit der Rikscha in die Old City von Srinagar

Unser erstes Ziel: Die Altstadt von Srinagar. Viele Jahre war es undenkbar, sich hier als Tourist aufzuhalten. Die Straßen der historischen Altstadt mit ihren Moscheen und pittoresken Häusern waren Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen indischen Soldaten und muslimischen Guerillas, die sich hinter Sandsäcken verbarrikadierten und Gefechte lieferten. Noch vor wenigen Jahren, 2010, flogen hier nach dem Freitagsgebet regelmäßig Steine, Proteste junger Gläubiger gegen die indischen Sicherheitskräfte.

Heute ist es friedlich hier. Es ist nicht viel los an diesem Samstag morgen, ein paar Mopeds, fahren an uns vorbei, links und rechts öffnen die Geschäfte ihre Pforten. Ich frage mich, wie wir mit dem Auto durch die schmalen Straßen gekommen wären. Ich habe das Gefühl, ich kann aus der Rikscha in die Verkaufsstände links und rechts greifen, so eng ist es hier. Was mir sofort auffällt: Es sind nur Männer unterwegs, keine einzige Frau weit und breit. Es gehört sich in Kaschmir wohl nicht, als Frau alleine durch die Gegend zu spazieren? Auch die Verkäufer an den Bazarständen, an denen Obst, Gemüse, das leckere kaschmirische Brot und frittierte, pikante Snacks angeboten werden, sind alle männlich.

Shah-E-Hamden-Moschee und Jamia Masjid

Bei unserem ersten Stopp, der Shah-E-Hamden-Moschee, sichte ich auch ein paar Frauen. Ich mische mich unter die Menschenmassen, die durch das Tor Richtung Moschee eilen, die um 1400 zu Ehren des Persers Shah-E-Hamden erbaut wurde. Shah-E-Hamden, ein persischer Reisender, der zwischen 1365 und 1383 mehrere Male nach Kaschmir kam, war eine Art Missionar, der seinerzeit gut 35.000 Buddhisten und Hindus in Kaschmir zum Islam bekehrte. Und zwar nicht auf gewaltsame Art und Weise, wie damals oftmals üblich, sondern indem er die Liebe und Toleranz predigte. Die Moschee wurde im Laufe der Jahre mehrfach zerstört, 1480, 1493 und zuletzt 1731. Sie ist fast komplett aus Holz und mit wunderschönen Ornamenten, Wandmalereien und Glasarbeiten verziert.

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Als Frau darf ich nicht in das Innere der Moschee, doch beim Blick durch das grüngerahmte Fenster kann ich mir einen Einblick von der Pracht des Gebetsraums verschaffen. Der ältere Herr, der auf der Veranda oberhalb der Treppe sitzt, lächelt mir freundlich zu, als ich meine Kamera zücke. Außer mir sind nicht viele Touristen hier, nur ein paar Hindufamilien, doch niemand schert sich weiter um mich, auch wenn ich auffalle mit meiner Backpackerkluft und meinem nichtbedecktem Kopf. Ich beobachte die Frauen, die auf einer Art Podest vor der Moschee hocken und dort beten. Ihnen ist es genauso wenig wie mir gestattet, das Allerheiligste zu betreten. Hier beginnen meine Zweifel an der Botschaft der Liebe von Shah-E-Hamden, aber ich werde im Rahmen meines Besuchs in Kaschmir noch lernen, mich besser nicht zu religiösen Fragen zu äußern. Doch dies ist ein Thema für einen separaten Blogpost.

In der Jamia Masjid, unserem nächsten Stopp, geht es deutlich ruhiger zu. Die Moschee mit dem begrünten, friedlichen Innenhof wurde 1384 durch den Sultan Sikander gebaut und ist vor allem wegen ihrer Architektur berühmt: Das Dach wird von 300 hölzernen Säulen getragen, die aus dem Stamm eines Deodarbaumes gefertigt wurden. Hier treffe ich sogar ein paar westliche Touristen, ein paar Franzosen und das Pärchen aus England, mit dem ich am Vortag bei meinem Shikara-Ausflug auf dem Nageen Lake kurz geredet hatte. Er sieht aus wie ein Mitglied der Hells Angels, sie hat asiatische Züge, vielleicht Thailand. Sie haben noch seine Mutter im Schlepptau. Ich solle doch am Nachmittag auf einen Tee bei ihnen auf dem Hausboot vorbeikommen, wenn ich Lust habe. Srinagar, ein Dorf?!? Ich drehe gerade eine Runde durch die imposante, offene Gebetshalle, als mich ein junger Typ anquatscht. Ich hätte so schöne Zähne. Wie bitte? Ist das die kaschmirische Art, mit jemandem ins Gespräch zu kommen? Ich bin etwas perplex, wir unterhalten uns dennoch ein wenig. Er sei Student, wohne in Srinagar. Ob er sich jeden Samstag hier herumtreibt und westlichen Touristinnen, die vom Alter her seine Mutter sein könnten, Komplimente zu ihren Zähnen macht, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

Pari Mahal, Shalimar Bagh, Nishat Bagh – die Gärten der alten Mughals

Ich flüchte zu meinem Fahrer und seinem Sohn in die Rikscha und wir brausen Richtung Dal Lake Richtung stadtauswärts zu den Mogulgärten. Leider ist die Tulpenblüte schon vorbei, aber dennoch ein absolutes Muss auf der To-Do-Liste eines Srinagar-Touristen. Tulpen in Indien? Klingt zunächst etwas befremdlich und ich bin nicht sicher, ob mich diese Gärten genauso vom Hocker hauen werden wie meine indischen Mitbewohner auf der Lily of Nageen. Blumen und gartenähnliche Parks haben wir in Europa ja genug, für uns nicht wirklich etwas Besonderes. Für die Inder schon. Sie strömen an diesem Samstag in Scharen in den Shalimar Bagh und den Nishat Bagh, die terrassenförmigen mit Kanälen durchzogenen Blumengärten, die die Mogule im 17. Jahrhundert anlegen ließen. Für die islamischen Herrscher waren diese Gärten ein Abbild des Paradieses, sie wurden entsprechend gehegt und gepflegt und man lustwandelte hier mit der Ehefrau und den Hofdamen.

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Mit mir lustwandeln an diesem Samstag hunderte indischer Familien durch die Gärten, die mich ehrlich gesagt nicht so wahnsinnig beeindrucken. Ich finde es viel spannender, die Großfamilien zu beobachten, die sich ein schattiges Plätzchen auf der Wiese suchen. Interessanterweise gibt es viele Sikhs hier aus dem Punjab, wo es zu dieser Jahreszeit noch heißer ist als in Kaschmir, die Männer mit kunterbunten Turbanen und der unvermeidlichen, coolen Pilotensonnenbrille dazu, die kleinen Jungen und Mädchen auch mit Turban mit Knoten, die Frauen im Sari. Hier falle ich wenigstens nicht auf mit meiner Kamera. Die indischen Touristen lieben es, sich gegenseitig zu fotografieren und sich dabei in Pose zu werfen. Sie stört es auch nicht, wenn ich meine Kamera auf sie richte. Ich muss schmunzeln, als ich zwei kleine Mädchen mit Italien-Trikot sehe, die Fußball-WM hat auch hier alle in ihren Bann gezogen.

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Schnell noch einen Abstecher zum Pari Mahal, dann ist es auch genug mit den Mogulgärten. Pari Mahal war früher einmal ein buddhistisches Kloster, bevor es von dem ältesten Sohn des Mogul Shah Jahan in eine Astrologieschule umgewandelt wurde. Heute stehen hier noch ein paar Ruinen, umgeben von einem großzügig angelegten Garten, von dem man einen wunderschönen Blick auf den Dal Lake und die Berge hat.

Last not least: Hazratbal Moschee – die heiligste Stätte Kaschmirs

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Obwohl es in Kaschmir zu dieser Jahreszeit nicht so heiß ist wie im übrigen Indien, sehne ich mich langsam auf die Hausbootveranda zurück. Aber vorher möchte ich noch kurz bei der Hazratbal Moschee Halt machen, die liegt sowieso auf unserem Rückweg. Die Hazratbal Moschee gilt als heiligste Stätte in Kaschmir, denn der Legende nach beherbergt sie ein Haar des Propheten Mohammed, das angeblich vor hunderten von Jahren seinen Weg aus Medina hierher gefunden hat. Die Moschee sieht völlig anders aus als die beiden in der Altstadt und erinnert mit dem weißen Marmor eher an eine kleine Ausgabe des Taj Mahal. Ein Blick von außen genügt mir jedoch, ich habe irgendwie keine Lust mehr, schon wieder meine Schuhe auszuziehen und meine Tasche durchfilzen zu lassen. Lieber noch einen kurzen Schlenker über den Basar und dann auf zum Nachmittagstee auf die Lily of Nageen. Ich muss ja auch noch meinen Rucksack packen, denn am nächsten Tag geht es auf zum Trekking. Ob es dabei in einen der Orte, den man aus Bollywoodfilmen kennt, verschlägt oder ich mich für den vermeintlichen Geheimtipp von Papa Karnai entschieden habe, erfahrt ihr im nächsten Blogpost.

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