Cleopatra’s Delight, Maharaja’s Palace, Royal Pleasure, Garten of Eden – die Briten der Kolonialzeit hatten nicht nur bei der Benennung ihrer Sommerresidenzen im kaschmirischen Srinagar eine Vorliebe für Opulenz, auch bei der Innenausstattung sparten sie nicht mit Prunk: Die Decken und Wände der Zimmer waren mit edelsten Hölzern vertäfelt und kunstvollen Schnitzereien verziert. Die Betten, über die sich die weißen Moskitonetze wie ein Baldachin spannten, und die große Tafel im Esszimmer waren ebenfalls aus massivem Zedernholz. Überall lagen edle, handgeknüpfte Kaschmirteppiche aus feinster Wolle, Kissen aus Samt und Seide, im Salon warteten gemütliche Chaiselongues, auf die man sich nach dem Abendessen mit einem Gin Fizz zurückzog, die man auf den kleinen handgeschnitzten Opiumtischen abstellen konnte. Wenn die Sonne unterging, zogen sich die Herren mit ihren Zigarren auf die Veranda zurück, die mit gemütlichen Korbsesseln zum Verweilen einlud.
Nur ein bisschen weniger Platz als in ihren Villen in Kalkutta, Bombay und Delhi hatten die Herrschaften hier. Denn die Residenzen, in die man sich während der Sommermonate zurückzog, um der drückenden Hitze „zu Hause“ zu entfliehen, lagen allesamt auf dem Wasser. Hari Singh, dem damals in Jammu & Kaschmir herrschenden Maharadja waren die Briten, die ab Mai, wenn das Leben in den Ebenen des Subkontinents zunehmend unerträglicher wird, wie die Heuschrecken in dem kleinen, beschaulichen Städtchen Srinagar einfielen, ein Dorn im Auge. Er untersagte ihnen, Land zu kaufen und hoffte, sie auf diese Weise fernzuhalten. Doch die Briten schlugen Hari Singh ein Schnippchen und kamen auf die findige Idee, sich Hausboote bauen zu lassen. Denn Srinagar hat einen Fluss und zwei wunderschöne Seen, den Dal Lake und den Nageen Lake, die sich dafür wunderbar anboten. So zog man kurzerhand auf das Wasser, genoss den Ausblick auf die drei Gebirgszüge, die Srinagar umschlossen und feierte die ein oder andere wilde Party, bei denen der Gin Fizz in Strömen floss.
Pech für den Maharadja, Glück für die Briten. Und die Touristen. Die idyllischen Hausboote auf dem Dal Lake und dem Nageen Lake, die schon in den Siebzigern die bevorzugte Anlaufstelle für die von der Überlandfahrt über Afghanistan und Pakistan erschöpften Hippies aus dem Westen waren, sind noch heute einer der Hauptgründe, um nach Srinagar zu kommen. Zwar bekam ich von einem Kontakt in Leh ein Hotel an Land empfohlen, doch das kam für mich überhaupt nicht in Frage. Natürlich wollte ich auch auf einem Hausboot wohnen. Vor meiner Abreise aus Deutschland hatte ich mir ausgemalt, mich zu einer Art Schreibwoche auf ein Hausboot zurückzuziehen. Mich morgens direkt nach dem Frühstück mit meinem iPad auf die Veranda zurückzuziehen und den ganzen Tag zu schreiben. Ideen skizzieren, meine Reiseerlebnisse Revue passieren lassen, neue Geschichten für das Blog zu schreiben. Nur unterbrochen von kleinen Teepausen, den Mahlzeiten und gegebenenfalls einem kleinen Nachmittagsschläfchen. Und dem Beobachten der wunderschönen Kingfishervögel. Nach dem Abendessen würde ich bei einem kühlen Getränk, vielleicht bei einem Gin Fizz oder einem Gin Tonic, der angeblich die Moskitos fern halten soll, den Abend auf der Veranda ausklingen lassen, einfach nur in den Mond und in die Sterne gucken und mich von meinen Gedanken treiben lassen. Im Hintergrund aus dem Salon klingt ein wenig Musik, aber ganz dezent und leise, vielleicht Jazz.
Natürlich kam alles ein wenig anders. Die Zeiten des British Raj sind längst vorbei und auch in Srinagar haben sich die Uhren weitergedreht. Als ich mit eintägiger Verspätung endlich in Srinagar ankam – es goss zwar auch am Tag nach dem wegen schlechten Wetters stornierten Flug von Leh in Strömen, doch aus unerfindlichen Gründen durften wir trotzdem starten – wurde ich als allererstes mit der hohen Militärpräsenz konfrontiert. Noch mehr als in Leh. Überall Soldaten mit Maschinengewehren, noch mehr Formulare zum Ausfüllen als sonst und dann der Mann in Uniform, der mich beim Ausgang abfing und fragte, wo ich hin wolle. Ich war etwas irritiert, hatten mir doch mehrere Frauen, die Kaschmir bereits in den Siebzigern und Achtzigern bereist hatten, von ihren unangenehmen Erfahrungen berichtet in Bezug auf Kontakte zu den männlichen Kaschmiris. Doch der Herr entpuppte sich als Mitarbeiter der Touristenpolizei – und war wirklich extrem hilfsbereit.
Eigentlich sollte ich abgeholt werden, von Ajaz, dem Sohn der Karnais, den Besitzern des schmucken Hausboots „Lily of Nageen“, das mir von einem anderen Gecancelter-Flug-Gestrandeten empfohlen wurde und mit dem ich ein paar Mal hin und her gemailt hatte. Doch weit und breit war niemand in Sicht. Also bat ich den Polizisten, auf dem Hausboot anzurufen und zu fragen, was los sei. Man sei sich angesichts des stornierten Fluges gestern nicht sicher gewesen, ob ich es tatsächlich heute nach Srinagar schaffe. Ich solle mir ein Taxi nehmen, man würde es auch bezahlen. Der Touristenpolizist managte auch das. Hätte ich zwar auch selber geschafft, aber warum sich nicht ab und zu auch helfen lassen?
Wie immer, wenn ich irgendwo mit dem Flugzeug ankomme, war ich etwas aufgeregt, was mich wohl erwartet. Ich finde, wenn man mit dem Zug oder dem Bus fährt, tastet man sich langsam heran an den neuen Ort, bekommt durch das, was am Fenster vorbeizieht, schon ein Gefühl. Beim Fliegen ist das anders. Raus aus dem Flughafen und man wird in eine andere Welt geworfen. Unvorbereitet, abrupt. Und das buddhistische Leh und das muslimische Kaschmir sind wirklich zwei völlig verschiedene Welten. So äugelte ich während der Fahrt neugierg aus dem Fenster. Dichter Verkehr, heruntergekommene, schmucklose Häuser aus simplem Beton, Industrie-und Gewerbegebiete, ein verschmutzter Fluss, und dann auch noch ein grauer Himmel, aus dem es jede Minute zu regnen anfangen drohte. Welcome to Srinagar … So hatte ich mir das Ganze irgendwie nicht vorgestellt. Wo waren die zwei malerischen Seen? Die grün bewaldeten Gebirgszüge? Die berühmten Moscheen? Die Blumengärten der Mogule? Das Treiben auf den Bazaren? All die wunderschönen Dinge, von denen ich in „The Kashmir Shawl“ gelesen hatte?
Ob ich noch positiv überrascht wurde und wie ich die Tage auf der „Lily of Nageen“ verlebte, erfahrt Ihr im nächsten Post. Denn jetzt – Ihr vermutet es vielleicht schon – ist Tatort-Zeit :-).
Din
25. Mai 2015 at 20:38Ein aufregender Einstieg in ein sehr schön klingendes Abenteuer. Also auf so einem Hausboot… ich muss es wohl kaum ausschreiben. Die Liebe dazu packt mich direkt und ich bin mehr als gespannt, wie es dir erging und wie das Hausboot so war.
Alexandra
26. Mai 2015 at 18:59soviel vorab: es war toll :-))). mehr in den nächsten tagen!