Zwischen Wind­pfer­den, Manisteinen und Gebetsmühlen – Markha Valley Trek Teil III

Jetzt habe ich schon so oft die bunten Gebetsfahnen erwähnt und noch nie erklärt, was es eigentlich auf sich hat mit diesen blauen, weißen, roten, grünen und gelben, mit heiligen Mantren, Gottheiten und Symbolen bedruckten Stoffrechtecken, die so typisch sind für die vom tibetischen Buddhismus geprägten Regionen Indiens. Im Tibetischen werden diese Fahnen „rlung rta“ oder „Lungta“ genannt, was übersetzt „Windpferd“ heißt. In der tibetischen Mythologie verkörpert das Windpferd eine besonders kraftvolle Energie, die sich wie der Wind rasch ihren Weg bahnt und überall eindringt. Als Mittler zwischen Himmel und Erde trägt das Windpferd die Gebete und die guten Wünsche, die auf den Fahnen abgebildet sind, in die Welt hinaus – in der Hoffnung, dass sie dem Universum Glück, Frieden und Wohlergehen bringen.

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Das Windpferd wird von vier weiteren Symboltieren begleitet. Da ist der schlangenfressende Vogel Garuda, der für spirituelle Erfüllung steht und böse Geister und Energien abschrecken soll. Dann gibt es den Drachen, das Symbol für starke Energien und die Beseitigung von Hindernissen. Der Schneelöwe steht für Mut, der Tiger für beständige Wachsamkeit und das Erreichen von Zielen. Die Farben der Fahnen haben ebenfalls eine Bedeutung. Sie verkörpern nicht nur die fünf Elemente, sondern repräsentieren auch fünf Formen des Buddhas und die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften. So steht die Farbe Blau für Luft und die Transformation von Hass und Zorn, Weiß für den Äther beziehungsweise Raum und die Transformation von Stolz, Unwissenheit und Verblendung. Rot symbolisiert das Feuer und die Transformation von Leidenschaft und Begehren. Grün steht für Luft und die Transformation von Neid und Geiz, Gelb für das Element Erde und die Transformation von Egoismus.

Galoppierende Windpferde und Götterhaufen auf Bergpässen

Die bunten Windpferde begegnen mir auch in Ladakh auf Schritt und Tritt. Aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur, finden sich die bunten Fahnen überall dort, wo der Wind sie bewegen kann. Sie flattern auf Hausdächern, Klöstern, Stupas und Brücken und vor allem auf Berggipfeln. Die windumfegten Bergpässe des Himalaya sind im buddhistischen Glauben ein besonders wirkungsvoller Ort zum Aufhängen der Fahnen. Hier sind sie am stärksten der Witterung ausgesetzt und können so am besten ihren Zweck erfüllen. Auch wenn man es zunächst vermuten könnte, liegt dieser nicht darin, die karge Berglandschaft mit bunten Farben zu verschönern, sondern sie so lange an einem Ort hängen zu lassen, bis sie komplett verwittert sind. Wenn die Stoffreste weiß und zerfranst, die Mantren nicht mehr zu lesen und das Windpferd und seine Begleiter davon galoppiert sind, haben sie ihre Aufgabe erfüllt. Denn dann wurden die heiligen Mantren freigesetzt und in alle Richtungen gepustet, die Gebete zu den Göttern Richtung Himmel getragen und der Segen zu den Menschen in die Täler.

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Auf dem Ganda La Pass empfängt uns ein wahres Meer an verblassten und zerfetzten Stofffahnen, die sich wie ein Wollknäuel um den großen Steinhaufen winden, an dem wir uns bei unserer Rast anlehnen und Schutz vor dem eisigen Wind suchen. Von hier oben müssen bereits viele gute Wünsche in das Tal hinunter nach Shingo und Skiu und weiter in das Markha Valley hinein geweht worden sein. Viele weitere Wünsche und positive Energie werden folgen, denn jemand hat schon neue Fahnen aufgehängt. Wahrscheinlich Pilger oder vielleicht auch Händler, für die der Weg über den Pass eine der wenigen Verbindungen zwischen den Dörfern im Markha Valley und einer der Schotterpisten ist, von denen aus man mit dem Jeep nach Leh fahren kann.

Die „Götterhaufen“ – so werden die Steinhaufen, um die sich die Gebetsfahnen ranken, auch genannt – sind schon so groß, dass Ishey und ich darauf verzichten, einen weiteren Stein darauf zu legen. Mit diesem Ritual werden normalerweise die Götter, die in diesen sogenannten „Ladhses“ wohnen, milde gestimmt. Das Auflegen eines neuen Steins soll den Reisenden zudem beim Abstieg vor Schaden bewahren. Der Glaube an Naturgötter, die in Steinen, aber auch in Bäumen, Bergen oder Seen wohnen, hat eigentlich nichts mit dem Buddhismus zu tun, sondern geht auf den alten Volksglauben der Ladakhis zurück, die sogenannte Bön-Religion. Dass der Buddhismus eine der tolerantesten Religionen überhaupt ist, zeigte sich schon damals, im 8. Jahrhundert, als er seinen großen Durchbruch in Ladakh hatte. Der schamanische Urglaube wurde einfach integriert.

Reliquienschreine – Stupas mit „Cupcake-Häubchen“

Zum Glück ist der Abstieg nicht schwierig, der Weg führt uns gut zwei Stunden über einen relativ flachen Bergrücken hinab. Die einzige Herausforderung ist der sandige Untergrund, auf dem ich trotz meiner Vibram-Sohlen immer wieder ins Rutschen gerate. Ein Paar Wanderstöcke zu mieten wäre vielleicht doch eine gute Investition gewesen … Doch wir kommen sicher in Shingo an, unserem Ziel für die nächste Nacht. Shingo besteht nur aus einer Handvoll Häusern. Und aus ebenso vielen Stupas beziehungsweise Chörten, wie die freistehenden, glockenförmigen Monumente auch genannt werden. Die architektonische Form der Stupas ist übrigens ein Spiegelbild der buddhistischen Philosophie: Der Unterbau repräsentiert die Erde, der Mittelbau den Bereich jenseits von Tod und Wiedergeburt. Das „Dach“, das ein wenig an einen Cupcake erinnert, steht für göttliche Weisheit.

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Die Stupas sollen an den erleuchteten Geist Buddhas erinnern, dessen sterbliche Überreste der Legende zufolge nach seinem Tod in sämtlichen buddhistischen Länder verteilt wurden und dort in Reliquienschreinen aufbewahrt werden. Auf Sri Lanka habe ich vor einigen Jahren einmal einen Zahn von Buddha „besichtigt“, im Zahntempel in Kandy. In den Stupas rund um die großen Klöster in Ladakh befindet sich heute oftmals die Asche bedeutender Lamas. Die meistens Stupas in den Bergen sind wahrscheinlich leer. Sie dienen hauptsächlich dazu, die Menschen an die Lehre Buddhas zu erinnern. Wir passieren jede Menge Reliquienschreine auf unserer achttägigen Tour durch das Markha Valley. Sie begegnen uns am Wegesrand, an Kreuzungen und natürlich in den Dörfern. Ishey ist eine folgsame Buddhistin. Wenn wir an einer Stupa vorbei kommen, geht sie immer links an ihr vorbei. Das Umrunden im Uhrzeigersinn bringt gutes Karma. Ich folge ihr meistens, auch wenn sie jedes Mal sagt, ich könne auch einfach geradeaus weiter gehen. Gutes Karma kann schließlich jeder gebrauchen.

Ich kann mich an diesen Schreinen nicht satt sehen. Sie sehen irgendwie alle unterschiedlich aus. Manche sind weißgetüncht oder rot angemalt, manche aus rauem Stein gehauen, schon etwas am zerbröckeln, andere mitten in die Felsenlandschaft eingebettet. Nachmittags, wenn wir unser Quartier bezogen haben, begebe ich mich in der Regel nochmals auf eine kleine Erkundungstour. Setze mich in den Schatten einer dieser Stupas, genieße die klare Luft, blicke in den blauen Himmel, von dem sich die zackigen Berge so scharf abheben. Schließe die Augen und versuche das, was ich in meinem Meditationskurs gelernt habe, anzuwenden. Wenn nicht hier, wo dann?

Ich laufe durch Wiesen, weiche den Eseln und Ziegen aus, die hier überall herumtrotten, und klettere trotz müder Beine immer noch den Klosterhügel hinauf, den es fast in jedem Dorf gibt. An den meisten Türen rüttele ich jedoch vergeblich. Die meisten Klöstern in diesem entlegenen Winkel werden sowieso nur von einem einzigen Mönch gehütet, der in der Regel nach einem Jahr abgelöst wird. Die Klöster in Kaya, Skiu, Markha und Hankar sind zu dieser Zeit jedoch aus einem anderen Grund abgesperrt. Die Mönche haben sich schon alle aufgemacht nach Leh, wo der Dalai Lama zwei Wochen lang Buddhisten aus aller Welt in das Kalachakra-Ritual einführen wird. Also schaue ich mir die weiß getünchten Gebäude mit den bunten Fresken nur von außen an. Die meisten jedenfalls. Das Tacha Kloster, das zwischen Sara und Markha hoch oben auf einem spitz zulaufenden Felsen trohnt, kann ich leider nicht aus der Nähe in Augenschein nehmen. Der serpentinenförmige, immer schmaler und abgründiger werdende Weg erinnert mich zu sehr an mein Abenteuer während des Meditationskurses und ich drehe auf halbem Weg um.

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„Om Mani Padme Hum“ – allgegenwärtiges Mantra auf Manisteinen und in Gebetsmühlen

Wir laufen weiter. Meine Guide Ishey summt wie fast immer ein Liedchen. Dieses Mal keinen Hindi-Pop und auch keinen ladakhischen Folksong, sondern „Om Mani Padme Hum“, das heilige Mantra, das ich so liebe, das ich zu Hause gerne als Dauerschleife höre und als Kettenanhänger und Armreifen trage. „Om Mani Padme Hum“, so die Sanskrit-Version, oder „Om Mani Peme Hung“, wie es auf tibetisch heißt, ist nicht nur das älteste, sondern auch das bis heute populärste Mantra im tibetischen Buddhismus. Die gängige Übersetzung ist ein bisschen schwerfällig. „Oh du mein Kleinod in der Lotusblüte“ oder „Oh Buddha im ewig wiederkehrenden Kosmos“. Was soll uns das sagen? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es leider nicht. Es gibt unzählige Versuche der Interpretation und Deutung, allesamt sehr komplex, wie im Übrigen die gesamte buddhistische Lehre.

Grundsätzlich gilt „Om Mani Padme Hum“ als Essenz aller Mantren, als Zusammenfassung sämtlicher Lehrreden des Buddha und beschreibt letztlich den Weg zur Erleuchtung. Es geht um das Durchbrechen des Kreislaufs der Wiedergeburt und um Mitgefühl. „Om“, der Urklang, symbolisiert dabei einerseits den unreinen Körper, die unreine Rede und das unreine Bewusstsein des Rezitierenden, andererseits den reinen Körper, die reine Rede und das reine Bewusstsein eines Buddhas. Der Weg zu dieser Reinheit wird durch die übrigen vier Silben beschrieben. „Mani“ bedeutet Juwel und steht für die Intention, nach Erleuchtung, selbstloser Liebe und Mitgefühl zu streben. „Padme“ heißt übersetzt Lotus und steht für Weisheit. Die Silbe „Hum“ steht für das Unerschütterliche, das durch nichts irritiert werden kann, und für die unteilbare Einheit von Methode und Weisheit. So hat es der Dailai Lama einmal bei einer seiner Belehrungen erklärt.

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Das Mantra aller Mantren begegnet uns überall auf dem Trek. Man findet es beispielsweise auf Steinen und Steinplatten eingraviert, sogenannten Manisteinen. Diese werden zu etwa anderthalb Meter hohen Mauern aufgeschichtet, die uns den Weg in das nächste Dorf weisen. Wie die Stupas sollte man auch die Manimauern stets mit der rechten Körperhälfte zugewandt passieren. Die Buddhisten glauben, dass die Mantren dabei zum Himmel gesendet werden, genauso wie beim Drehen der Gebetsmühlen, in denen sich hunderttausende kleine Papierschnipsel befinden, auf denen „Om Mani Padme Hum“ geschrieben steht. Das Rezitieren von Mantren war ursprünglich den Gelehrten vorbehalten. Macht man etwas falsch dabei, bleibt angeblich die magische Wirkung aus. Die Gebetsmühle ist gewissermaßen eine Krücke für den Normalo-Buddhisten, der Erlösung und Erleuchtung näher zu kommen.

Ich glaube, ich habe fast jede Gebetsmühle auf unserem Trek gedreht. Diese bunten oder goldenen, mit Ornamenten geschmückten Zylinder in Bewegung zu bringen – die großen kann man dabei auch im Laufen umrunden – hat irgendwie etwas beruhigendes. Ein schönes Ritual, finde ich. Ich habe auch immer wieder neugierig die vorwiegend älteren Menschen beobachtet, die auf ihrem Plastikstuhl vor der Haustür oder im Garten sitzen, ihre kleine „Hand“-Gebetsmühle drehen und dabei vor sich hin murmeln. Beinahe hätte ich mir auch so eine kleine Gebetsmühlen gekauft, aber eher zu dekorativen Zwecken für meine Wohnung. Es würde wahrscheinlich etwas seltsam anmuten, wenn ich mit so eine Gebetsmühle durch den Luitpoldpark laufe und dabei „Om Mani Padme Hum“ trällere. Dafür lege ich jetzt meine “Tibetan Incantations”-CD ein. Meine Nachbarin kennt die, fürchte ich, auch schon auswendig ;-).

3 comments

  1. Hi Alex, wie immer super interessant und geniale Fotos! Macht echt Spaß und Laune deinen Blog zu verfolgen!

  2. danke, liebe margret, das freut mich :-). bis ganz bald!

  3. Hallo Alexandra,
    ich habe gerade in meiner 7. Klasse in der Waldorfschule eine Indienepoche auf sehr praktische Art gemacht: Mit Essen, Tanz, Yoga, Masken … Am Ende veranstalteten wir ein indisches Fest mit den Eltern. Es war sehr schön.
    Nun bin ich auf deinen Text gestoßen und wollte dich fragen, ob ich ihn auf meiner Homepage (waldorf-ideen-pool.de) zur Anregung anderer Leherer veröffentlichen darf. Er ist so schön anschaulich. Freue mich auf deine Antwort!
    Gruß Marcus

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