Galis, Paan Wallahs und Bhang Lassi – magische Momente in der Altstadt von Varanasi

Direkt oberhalb der Ghats, den steinernen Badetreppen, an denen ich Stunden um Stunden mit dem Beobachten der spirituellen Rituale verbringen könnte, beginnt die Altstadt von Varanasi – die Galis. Ein labyrinthartiges Netz aus engen Gassen, in das ich mich während meines ersten Besuchs in Varanasi 2012 kaum hinein getraut habe vor lauter Sorge, ich würde nicht mehr hinausfinden.

Während meines Besuchs in Varanasi im Rahmen der #UPTWC 2015 – der Uttar Pradesh Travel Writers Conclave 2015, zu der ich kürzlich eingeladen war – bestand glücklicherweise keine Gefahr, in dem Labyrinth verloren zu gehen. Die Regierung von Uttar Pradesh hatte offenbar Sorge, dass unsere 20-köpfige Gruppe während der drei Tage in Varanasi in irgendeiner Form unter die Räder kommen könnte und stellte ein Kommando der örtlichen Polizei für uns ab – neben den Vertretern der Tourism Police, die ohnehin unsere ständigen Begleiter waren.

Zwischen zerfallender Architektur, heiligen Kühen und verträumten Paan-Kauern

Das war mein Glück, denn ich wäre wahrscheinlich wirklich verloren gegangen. Für mich als detailverliebte Fotografin, die gerne länger irgendwo verweilt, um die Atmosphäre aufzusaugen und Situationen einzufangen, war das Tempo unserer Erkundungstour natürlich viel zu schnell. Die drei Polizisten, die das Schlusslicht bildeten, versuchten immer wieder, mich sanft daran zu erinnern, dass wir langsam aufschließen müssten. “Ma’am, please come.” Einer der Polizisten fand es jedoch offenbar amüsant, dass ich Kühe in Hauseingängen fotografierte, bunt gestrichene Hausfassaden mit Bildern von Ganesha und Krishna und Om-Zeichen ablichtete, rote, zerkratzte Gasflaschen auf einem Fahrradanhänger knipste, alte Holz- und Messingtüren mit dickem, von Spinnweben bedeckten Vorhängeschlössern, zeitungslesende Frauen ebenso vor die Linse nahm wie junge Männer, die sich auf der Straße die Zähne putzen, und alte Männer in Longhis und Unterhemd, mit roten Zähnen, und einem leicht vernebelten Blick aus den roten Augen. “Mein” Polizist wartete jedes Mal geduldig, wenn ich wieder einmal stehen blieb, um auf den Auslöser zu drücken. Ich wünschte, er hätte mich rechtzeitig gewarnt, als ich vor lauter in der Gegend herumgucken mit meinen Ledersandalen in einen großen Haufen Kuhmist getreten bin … Glücklicherweise fanden wir in einem Hauseingang einen Wasserhahn, so dass ich meine Sandalen und meine Füße notdürftig sauber machen konnte. Das Haus entpuppte sich übrigens als Kuhstall. Dies aber nur am Rande.

Für die Polizisten, Bewohner, Teeverkäufer, Seidenhändler und Samosabäcker, die ihre Geschäfte in der Altstadt haben, ist das Treiben in den Galis Alltag. Nichts besonderes. Man sitzt vor der Tür. Plaudert. Liest Zeitung. Wartet auf Kundschaft. Oder macht eine kleines Schläfchen. Für mich sind die Galis von Varanasi ein faszinierendes Potpourri aus wunderschöner, alter, langsam vor sich hin rottender Architektur, einzigartigen Einblicken in die indische Kultur und interessanten Menschen, deren Gesichter und Augen Geschichten erzählen. Geschichten, die ich gerne gehört hätte. Zum Beispiel die Geschichte der etwas verrückt dreinblickenden alten, dünnen Frau mit der dicken Brille auf der Nase und dem Pflaster auf der Wange, die auf dem Gemüsemarkt immer wieder den selben Satz ruft oder besser gesagt herausschreit. Und die von niemandem beachtet wird. Vielleicht ist sie jeden Tag hier? Viele der Menschen hier scheinen ihren Stammplatz zu haben. Den älteren Mann mit den kurzgeschorenen weißen Haaren und dem Bart und dem Longhi mit der Goldbordüre sehe ich beispielsweise am nächsten Tag wieder vor dem gelben Haus sitzen. Oder die Geschichte des Paan Wallahs, der die „Betelbissen“ zubereitet – eine Art legale bewusstseinserweiterte natürliche Droge aus Betelnüssen. Wie wird man zum Paan Wallah? Übernimmt man das Geschäft des Vaters? Ist man selber sein bester Kunde?

„Lord Shiva’s Prasard“ – Eine Runde Marihuana aus staatlichem Handel gefällig?

Was für die einen das Paan ist, ist für die anderen das Bhang. Bhang ist eine Art verflüssigtes Cannabis. In Varanasi, der heiligen Stadt, der Stadt Shivas, kann man die braunen Kügelchen so einfach kaufen wie Brot und Milch. „Government Bhang Shop“ ist auf dem gelben Schild über der vergitterten Einbuchtung in dem alten Haus zu lesen. Aha, in Varanasi kann man also ganz legal Drogen kaufen, in einem von der Regierung zugelassenem Geschäft. Incredible India … Hinter den Gittern des Kabuffs steht eine große Schale mit braunen Matschkugeln. Als ich mich mit meiner Kamera nähere, packt der Bhang Wallah gerade ein Kügelchen in Zeitungspapier für einen männlichen Kunden. Ob er das in sein Mittagessen einrührt? Oder sich zu Hause daraus einen Bhang Lassi zaubert?

Bhang Lassi ist ein Lassi, in dem die kleinen braunen Kügelchen zerbröselt werden – je nach Bedarf mehr oder weniger. Viele Backpacker bestellen „Extra strong“. Und finden den Weg von dem berühmtesten Lassi Shop in Varanasi – dem Blue Lassi  – nach Hause garantiert nicht mehr ohne fremde Hilfe. Bhang Lassi ist im Hinduismus so etwas wie Ambrosium, der Nektar der Götter. In diesem Fall gilt es als „Prasard“, als Opferspeise, für Lord Shiva, der Gott, der der Legende nach das Marihuana auf die Erde gebracht hat.

Nachdem unsere Polizisten mit zwanzig benebelten Journalisten und Bloggern sicherlich überfordert gewesen wären, bekommen wir im Blue Lassi nur einen ganz normalen Lassi, ohne Extras. Wobei, so hübsch und aufgepimpt wie die garniert sind mit Schokolade und Kardamonkapseln oder Granatapfelkernen und Pistazien – wer braucht da schon einen Bhang-Kick :-)?

Hier in Goa, wo ich gerade diesen Artikel schreibe, scheint man Bhang Lassi nicht zu kennen. Der Kellner in dem Strandcafé nebenan, in dem ich gestern gesessen habe, zuckte hilflos mit den Schultern, als er von einem jungen, blonden, europäischen Backpacker nach diesem magischen Getränk gefragt wurde. Das steht hier offenbar nicht auf der Getränkekarte. Der Backpacker erklärt, was Bhang Lassi ist. Aha. Nein. Das habe man nicht. Er könne aber normales Marihuana kaufen. Incredible India …

Ich werde jetzt brav meinen schnöden Banana Lassi zu Ende schlürfen und danach nochmal in die Wellen des Arabischen Meeres hüpfen, bevor ich mich dem Anatomiebuch für die Prüfung im Yoga Teacher Training widme.

Im nächsten Artikel der #UPTWC2015-Reihe entführe ich Euch nach Sarnath, einem heiligen buddhistischen Ort vor den Toren Varanasis. Einen schönen (Tatort-)Sonntag wünsche ich Euch!

*Zu dieser Reise wurde ich von Uttar Pradesh Tourism eingeladen. Der Text spiegelt meine eigene Meinung wider.

7 comments

  1. Bhang Lassi in Varanasi beim Blue Lassi? Nicht auf leeren Magen und schnell zurück in die Unterkunft, wenn Du nicht für immer in den alten Gassen verloren gehen willst. Du hast etwa 15 Minuten 😉

    Das “heilige” Getränk gibt es auch in Pushkar und in ganz Rajasthan. Komisch, dass Goa da nicht mitspielt, da hätte ich das am ehesten erwartet.

  2. Wie gesagt, wir hatten nur den “normalen” Lassi, eine offizielle Presse- und Bloggerreisen mit 20 Schreiberlingen im Bhangrausch ist ggf. kontraproduktiv für die Marketingaktivitäten der Tourismusbehörden :-). Pushkar ist ja auch ein Shiva-Ort, vielleicht hängt es damit zusammen. Hier in Goa ist an anders drauf, man hört auch Bee Gees am Strand, wie in dem Café, in dem ich gerade sitze … Liebe Grüße, Alex

  3. Ich hab letztens noch in einem Buch über den Trip nach einem Bhang Lassi gelesen und konnte mich nicht mehr genau daran erinnern. Danke fürs Auffrischen 🙂 Den werde ich umgehen 😀

  4. Auf jeden Fall besser die Finger von “extra strong” lassen, in den Gassen der Altstadt kann man sich leicht verirren ;-).

  5. Auch ohne Lassi mit Extrakick machen deine Beschreibungen große Lust darauf, sich in den Gassen von Varanasi treiben zu lassen! Ein schöner Beitrag.
    Alles Liebe, Julia

  6. lieben dank :-). bei deinem nächsten trip nach bayern machst du einfach einen zwischenstopp in münchen, dann gehen wir auf einen mangolassi, ohne kick :-). alles liebe, alex

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