O’gsprüht is’: Street Art in München – Radtour zu den Graffiti-Hotspots an der Isar

Bei „Street Art“ denken die meisten sicherlich als erstes an Städte wie Berlin, Hamburg, London und New York. Aber München? Die Isarmetropole ist für vieles bekannt, aber nicht unbedingt als Mekka der Subkultur. So kürte die New York Times 2010 auch Berlin und nicht München zur Graffiti-Hauptstadt Europas. Wer sich schon mal ein wenig näher mit Street Art beschäftigt hat, weiß jedoch: München ist die Wiege der deutschen Graffiti-Szene. In Insiderkreisen gilt München auch heute noch als heimliche Graffiti-Hochburg. Grund genug, mich nach meiner Street Art-Tour in New York letzten Sommer endlich einmal in meiner Heimat auf der Suche nach den Hotspots für Straßenkunst zu machen.

Am besten geht das mit dem Fahrrad – die meisten Street Art Galerien in München liegen an der Isar – und mit einem Experten als Begleitung. Unzählige Male schon bin ich durch die Unterführungen am Friedensengel und am Müllerschen Volksbad geradelt, bin unter der Brüdermühlbrücke an den bunt besprayten und bemalten Pfeilern entlang spaziert, ohne zu wissen, wer und was hinter diesen Werken steckt. Anlässlich der Ausstellung „Magic City – Die Kunst der Straße“ hatte ich jetzt Gelegenheit, unter fachkundiger Führung des Autors und Künstlers Martin Arz, DEM Münchner Street Art Experten, mehr über Techniken wie Graffiti, Stencils und Crossings, Künstler wie Loomit, Blek le Rat und Won ABC und den legendären „Geltendorfer Zug“ zu erfahren.

Es war einmal eine S-Bahn nach Geltendorf: der erste „Wholetrain“ Europas

Sie sorgte damals für die Gründung einer Sonderkommission mit Namen „Graffiti“, die Aktion einer Gruppe Jugendlicher, die die BILD als Schmiererei und Vandalismus bezeichnete. Das war 1985 und die Rede ist vom Bemalen eines S-Bahn-Zuges der Linie Geltendorf. Was den Sprayern damals 100 Sozialstunden und 1.000 D-Mark Strafe pro Nase einbrockte, gilt als Geburtsstunde des Graffiti in Deutschland. Der legendäre „Geltendorfer Zug“ war sogar der erste „Wholetrain“ in Europa, das heißt ein Zug, bei dem alle Waggons komplett in einer Aktion bemalt wurden. Einer der Sprayer war Loomit, heute einer der großen Street Artisten, der uns auf unserer Tour und auch in der „Magic City“ im Olympiazentrum noch häufiger begegnen wird.

Street Art in München – Hotspot 1: Friedensengel

Was für ein Kontrast, der goldene Friedensengel, der über München wacht, und nur wenige Meter weiter die in bunten Farben schillernde Unterführung, der Startpunkt unserer Street Art Tour in München. Eazy, Herakut, Init, Lady Aiko – eine Vielzahl von Namen lernen wir kennen, von lokalen und internationalen Street Artisten. Und jede Menge Fachvokabeln wie Graffiti Writings, Stencils, Crossings und Tags.

Glücklicherweise gibt uns Martin einen Crashkurs und erklärt die wichtigen Techniken. Wer den berühmten Banksy kennt, kennt auch Stencils: eine zu Hause vorbereitete Schablone an die Wand halten, sprayen und dann schnell weg. Wir entdecken nicht nur Stencils, sondern auch Tags, also die Namenszüge, mit denen die Künstler ihr Revier markieren, und Crossings. Dahinter verbirgt sich das bewusste Zerstören bzw. Übermalen von Werken. Eigentlich widerspricht Crossing dem Ehrenkodex der Street Artisten, erklärt Martin. Andererseits lässt sich dies nicht verhindern, ist Ausdruck der Schnelllebigkeit von Street Art. Martin macht uns auf den großen Trabi aufmerksam, ein Werk von Mr. Woodland, das bereits das dritte Bild an dieser Stelle ist. Ursprünglich waren hier einmal rote Bären von Flying Förtress zu sehen, als Gegenstück zu den blauen Bären am anderen Ende der Unterführung. Das ist übrigens das Konzept der Galerie in der Unterführung am Friedensengel: Jedes Kunstwerk hat ein Gegenstück. Auch die berühmte Lady Aiko wurde hier übrigens gecrossed.

Was wir noch erfahren: Große Flächen werden mit Farbe aus dem Eimer bemalt, da Spraydosen zu teuer sind. Apropos Spraydosen: Die waren das einzige Arbeitsmittel der ersten Graffitikünstler, gerade einmal zehn Farben standen zur Auswahl. Um filigraner arbeiten zu können, gehörte das Klauen der Sprühköpfe von Parfümflaschen in Drogeriemärkten seinerzeit zum guten Ton.

Street Art in München – Hotspot 3: Über die Praterinsel zur Muffathalle

Vom Friedensengel geht es auf die andere Seite der Isar und weiter zur Praterinsel und zur Muffathalle. Fast würde man es zwischen den Büschen übersehen, das Stencil des niederländischen Künstlerpaares BastArt auf der Praterinsel: ein mit Schablone auf ein Mauerstück gesprühtes Gesicht.

An der Muffathalle wird es dann bayerisch: Das Münchner Kindl auf dem Surfbrett, ein Werk von Loomit. Daneben entdecken wir weitere bekannte Münchner Unikate wie Liesl Karlstadt und Karl Valentin, die jedoch zum Teil schon gecrossed wurden.

Einige Meter weiter war der mexikanische Street Artist Benuz am Werk. Benuz ist bekannt für Totenköpfe, Skelette und kalligraphische Werke. Für diese arbeitet er stark mit Farbgebungen, die dreidimensionale Effekte erzielen. Interessante Anekdote am Rande: Obwohl das Werk an der Muffathalle offiziell genehmigt war, fuhr sofort die Polizei vor. Benuz war so fasziniert, dass die Polizei in München BMW fährt, dass er erst einmal Fotos der Polizeiautos machen musste.

Street Art in München – Hotspot 4: Müllersches Volksbad

Auch die Unterführung hinter dem Müllerschen Volksbad hat einige Geschichten zu erzählen. Zur Street Art Galerie wurde sie anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, unter der Ägide von Loomit. Auf der Decke war einmal ein Münchner Kindl und ein Maßkrug zu sehen, leider wurde hier vieles übersprüht. Dafür entdecken wir auch ein brandneues Werk: drei nackte Frauen aus Papier. Paper Art wird diese Technik genannt, die Motive werden vorgesprüht und dann wie ein Plakat an die Wand geklebt. Zwei „Gigastars“ der Szene sind hier übrigens ebenfalls zu finden – die brasilianischen Zwillinge Otavio und Gustavo Pandolfo alias Os Gemeos. Ihre Druckgrafiken kann man heute für 13.500 Euro pro Stück erwerben.

Street Art in München – Hotspot 5: Brüdermühlbrücke

Next stop: Brüdermühlbrücke. Was ich nicht wusste: Die Brückenpfeiler werden von einer Initiative namens „Die Färberei“ verwaltet und alle zwei Jahre neu besprüht. Wir stellen die Räder ab und schauen uns um. Hochkarätige Künstler sind hier vertreten, wie zum Beispiel Won ABC mit den „Sole Hunters“, ein riesiger Dinosaurier aus Turnschuhen. Won ABC, bekannt für seine Leidenschaft für Zombies und mythologische Gestalten, hat übrigens schon im Buchheim Museum in Bernried ausgestellt. Besonders beeindruckend sind die Werke „Utopie“ und „Dystopie“ auf zwei Seiten eines Pfeilers, wovon eines München zerstört zeigt, wie man es sich nicht vorstellen mag. Auch Werke des Münchner Kollektivs „Der blaue Vogel“ finden sich hier. Zu guter Letzt entdecken wir noch ein unvollendetes Werk, welches man laut Martin nicht fotografieren sollte, das sehen die Künstler nicht sehr gerne.

Street Art in München – Hotspot 1: Tumblinger Straße

Willkommen in der „Hall of Fame“! Diese befindet sich in der Tumblinger Straße und ist der einzige Ort in München, an dem man legal mit einer Sprayflasche aufkreuzen darf, ohne sofort verhaftet zu werden. Eines der bekanntesten Werke in der Hall of Fame ist der „Bayerische Bandit“ von City Slickers. Auch der große Blek le Rat war schon hier, der Begründer der internationalen Stencil-Bewegung. Sein Markenzeichen: Ratten, daher auch der Namen, das zudem ein Anagramm ist für „Art“. Seine Ratten hat er in der Tumblinger Straße auf den Banditen von City Slickers gecrossed.

Street Art in München – Hotspot 1: Viehhof

Last exit Viehhof, wo leider letzten Samstag die Werke illustrer Künstler wie Loomit – den Martin übrigens schon vor 20 Jahren beim Sprayen auf der Leiter fotografiert hat – noch durch einen Bauzaun versperrt waren. Inzwischen haben der Biergarten und das Freiluftkino im Viehhof jedoch ihre Pforten geöffnet. Tipp: einfach vor dem Kinobesuch noch eine Runde entlang der Mauern drehen.

„Magic City – Die Kunst der Straße“ – Ausstellung in der Kleinen Olympiahalle

Wer sich in München auf die Spuren von Street Art begibt, muss eigentlich noch der Donnersberger Brücke einen Besuch abstatten, eine der weitläufigsten Street Art Galerien in München. Diese muss bei unserer Tour leider ausfallen. Statt dessen machen wir uns auf den Weg in die Kleine Olympiahalle in die Ausstellung „Magic City – Die Kunst der Straße“, die noch bis 3. September 2017 läuft.

66 Künstler aus 20 Nationen sind in der Ausstellung vertreten, für die man eine ganze Stadt nachgebaut hat, mit einem Spielplatz, einem Café und sogar einem Rotlichtviertel. Wir machen uns gezielt auf die Suche nach den Künstlern, deren Werke wir auf unserer Radtour kennengelernt haben. Und treffen unter anderem auf gesprayte Elefanten von Loomit und auf Ratten von Blek le Rat.

Fast alle Werke wurden extra für die Ausstellung gemalt, gesprüht, geklebt oder sogar gestrickt – der Phantasie ist in der Street Art keine Grenzen gesetzt, egal ob in dem Wimmelbild, das Berlin und Hongkong darstellt oder in den 3D-Illusionen, wo der Besucher quasi selbst zum Kunstwerk wird. Die Werke bleiben im Besitz der Künstler. Wer die auf fünf Jahre angelegte Ausstellung verpasst: Nach München wird „Magic City“ in Stockholm zu sehen sein.

* Vielen Dank an Martin Arz von München Safari für die spannenden Einblicke in die Münchner Street Art Szene, die Veranstalter von „Magic City“ für die Einladung in die Ausstellung und Kulturmarketing München für die Organisation des Blogger #BikeUp.

9 comments

  1. Super Beitrag! Da gehe ich das nächste mal mit ganz anderen Augen durch München.
    Viele Grüße
    Heidi

  2. Liebe Heidi, das freut mich! Ich war am Sonntag schon wieder unterwegs, dieses Mal auf eigene Faust, und habe an der Isar noch mehr Kunstwerke entdeckt! Viel Spaß beim Entdecken! Liebe Grüße, Alexandra

  3. Liebe Alexandra, schade, dass ich nicht mit dabei sein konnte auf der Tour, da wir im Urlaub waren. Ich wusste zwar, dass die Street Art in München ihren Ursprung hat. Dass München aber tatsächlich auch aktuell die Graffiti-Hochburg Europas ist, erstaunt und freut mich zugleich. Deine Bilder zeigen das sehr deutlich: toller Artikel mit wunderbaren Fotos, der Lust macht, auf Graffiti-Entdeckungstour zu gehen. Liebe Grüße, Ricarda

  4. Liebe Ricarda,

    freut mich sehr, dass Dir der Beitrag gefällt <3 und schade, dass Du nicht dabei sein konntest. Die Tour war wirklich großartig, ich bin ja schon oft vorbeigeradelt, aber unter fachkundiger Leitung von Martin mit so vielen interessanten Hintergrundinformationen war das nochmal was ganz anderes. Falls Du Gelegenheit hast, Dich einer seiner offiziellen Touren anschließen, kann ich das nur empfehlen!

    Liebe Grüße
    Alex

  5. Eine schöne Tour. Leider war ich bisher in München nur auf dem Flughafen, aber das wird sich hoffentlich bald ändern. Tolle Fotos!

    Herzlich,
    Anna

  6. Hallo Anna, freut mich sehr, dass Dir die Fotos gefallen, war auch für mich, obwohl ich schon so oft mit dem Rad an den Kunstwerken vorbeigefahren bin, nochmal eine neue Entdeckung. Hoffe, Du hast bald einmal Gelegenheit, das schöne München näher kennenzulernen! Liebe Grüße, Alex

  7. Servus,

    interessanter Artikel mit schönen Fotos. Mittlerweile gibt es München ja viele solcher bunten Flecken!

  8. Hallo Rainer, vielen Dank, freut mich sehr! Bei unserer Radltour haben wir tatsächlich noch längst nicht alle Orte aufgesucht, an denen es inzwischen Street Art gibt. Meint man so gar nicht vom “geschleckten” München ;-). Viele Grüße, Alexandra

  9. Den Bayerischen Banditen in der Thalkirchener Eisenbahnunterführung habe ich auch fotografiert. So eine Tour mit einem Insider ist interessant. Das Loomit – Zeichen, oder Tag, habe ich auch schon öfter entdeckt. Jetzt weiß ich etwas über den Künstler. Bei der Fahrradunterführung unter dem Frankfurter Ring in Milbertshofen gibt es auch viele Graffiti.

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