Mit dem Rucksack durch Pakistan? Das klingt mehr als abenteuerlich. Der südasiatische Staat ist nicht gerade als bevorzugtes Reiseland für Individualtouristen bekannt. Bei Pakistan denkt man als erstes an Terrorismus, islamische Militanz und die Zwistigkeiten mit dem Erzfeind Indien. Doch hinter diesem Schleier verbirgt sich einiges mehr. Anne Steinbach und Clemens Sehi – Reiseautoren und -fotografen aus Berlin und die Köpfer hinter dem Blog Travellers Archive – haben sich aufgemacht, den Schleier zu lüften. Vier Wochen sind sie mit dem Rucksack durch das geheimnisvolle Land am Hindukusch gereist.
Aus ihren Erlebnissen ist ein Buch enstanden – „Backpacking in Pakistan“. Auf knapp 280 Seiten gewähren sie einen tiefen Einblick in das faszinierende Land, abwechselnd geschildert aus der männlichen und weiblichen Perspektive. Schon nach den ersten Seiten hat man das Gefühl, sich mit den beiden im Gassengewirr der Altstadt von Peshawar zu verlieren, die Abgase des alten Suzuki in der Nase zu spüren und das Knattern von altersschwachen Mopeds und den allgegenwärtigen Ruf des Muezzin im Ohr zu hören. Das Buch lässt immer wieder neue Bilder vor dem inneren Auge entstehen. Es liest sich fesselnd wie ein Krimi und vermittelt nebenbei eine Fülle an Informationen über ein Land, das sich erst langsam dem Tourismus öffnet.
Mich selbst fasziniert Pakistan schon lange, vielleicht wegen meiner engen Verbindung zu Indien. Meine Reisen durch Indien haben mich schon einige Male nahe an die Grenze zu Pakistan gebracht. Bislang habe ich jedoch nicht den Mut gefunden, sie zu überschreiten. Umso spannender fand ich es, die Reise von Anne und Clemens 2018 über Social Media zu verfolgen. Jetzt hatte ich die Gelegenheit, den Beiden anlässlich ihres Buches einige Fragen zu ihrer Reise zu stellen, die Ihr im nachfolgenden Interview nachlesen könnt.
Anne Steinbach und Clemens Sehi von Travellers Archive im Interview zu „Backpacking in Pakistan“
Ihr habt schon lange davon geträumt, Pakistan zu bereisen. Was hat Euch im Vorfeld so fasziniert? Wie habt Ihr Euch das Land vorgestellt? Haben sich Eure Vorstellungen erfüllt oder war Pakistan „in echt“ ganz anders?
Clemens: Wir sind grundsätzlich von allem fasziniert, was uns absolut unbekannt ist. Je abgelegener ein Land ist, desto besser. Je mehr wir selbst noch Sachen erforschen und entdecken können, desto spannender. Und da passt Pakistan eben perfekt rein. Wir wollten dieses Land, über das man absolut gar nichts weiß – zumindest kaum etwas Positives – einfach kennenlernen. Nachdem wir knapp zwei Jahre lang die Sicherheitslage im Land beobachtet haben, war es dann im November 2018 so weit.
Anne: Tatsächlich haben wir uns Pakistan ein wenig wie Indien vorgestellt. Allein historisch betrachtet, macht eine Ähnlichkeit beider Länder eigentlich Sinn. Das heißt wir haben uns auf Smog, Chaos, eine Menge Menschen und überfüllte Märkte eingestellt – sind dann allerdings in Islamabad gelandet, wo einfach alles super geordnet und leer war. Das war natürlich ganz anders als das Pakistan, das wir im Kopf hatten.
Clemens: Innerhalb unserer Reise wurde es dann aber doch schon so, wie wir es uns vorgestellt hatten. Es war voll, laut und natürlich auch versmogt. Das gehört eben dazu.
Pakistan gilt als eines der gefährlichsten Länder der Welt. Hattet Ihr irgendwann richtig Angst?
Anne: Angst würde ich es nicht nennen, aber unsere Reise in den Norden des Landes hat mir schon ab und an ein mulmiges Gefühlt verpasst. Wir sind mit einem normalen Reisebus von Islamabad nach Chilas im Norden Pakistans gefahren. Die Fahrt wurde allein dank eines Landrutsches doppelt so lang wie eigentlich geplant. Nach 18 Stunden wurden wir dann mehr oder weniger aus dem Bus geworfen und in ein Hotel verfrachtet, in dem alles voll mit Polizisten war. Das war schon echt komisch. Es waren bestimmt 30 Polizisten, allesamt mit Kalaschnikows über der Schulter, im Foyer des Hotels, als wir mit unseren Backpacks hereinmarschiert sind.
Clemens: Die Männer hatten da zwar nur eine Art offiziellen Empfang und waren gar nicht für uns da, die Situation war aber trotzdem sehr komisch.
Anne: Ansonsten gab es aber keine Situation in Pakistan, in der wir uns wirklich unsicher gefühlt haben.
Ihr seid auf der höchsten Fernstraße der Welt gefahren, mitten durch Terroristengebiete, musstet nach Terroranschlägen aus Sicherheitsgründen in Polizeiobhut – das reicht eigentlich für mehrere Abenteuerreisen. Was war das krasseste Erlebnis auf der ganzen Reise?
Anne: Nach unserer Wanderung nach Fairy Meadows, der Märchenwiese am Fuße des Nanga Parbat, mussten wir sehr schnell wieder auf ein Normallevel kommen, da Clemens die Höhenkrankheit hatte. Uns blieb also nichts anderes übrig, als einen privaten Transport zu organisieren, der uns noch in der Nacht von Chilas zurück nach Islamabad bringen konnte.
Clemens: Kaum sind wir vom Hotelparkplatz in Chilas los, hatten wir direkt vor und hinter uns dicke Polizeiautos mit blinkendem Blaulicht. Tatsächlich wurden wir also die ganze Nacht lang und vor allem die kompletten 500 Kilometer bis nach Islamabad von der Polizei begleitet. Die Autos haben mitten in der Nacht eine Art Staffelübergabe gemacht. Das heißt, nach ein paar Kilometern fuhren die Autos nach rechts und wurden von neuen Autos abgelöst. Hinten auf der Freifläche des Autos saß übrigens auch immer ein mit einer Kalaschnikow bewaffneter Polizist und hat mit einer Taschenlampe die Umgebung gesichert.
Anne: Das war auf jeden Fall die krasseste Erfahrung. Vor allem, weil Clemens so erschöpft war, dass ich mich alleine durch die Nacht quälen musste. Alle 20 Kilometer in etwa hielten wir an und ich musste uns offiziell in einem Checkpoint der Polizei mitten in den Bergen anmelden. Das war einfach echt surreal und ein wenig skurril.
Sich als Paar als verheiratet ausgeben, nicht alle Männer mit Schusswaffen sind gefährlich – Ihr habt allerlei Lektionen gelernt in Pakistan. Was war Eure härteste Lektion?
Clemens: Für mich war es wirklich die Tatsache, dass Waffen nicht immer eine Gefahr bedeuten. Wir hatten ab und zu Polizeischutz, obwohl wir nicht darum gebeten haben. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen, denn über einen Markt mit bewaffneten Polizisten zu laufen ist echt nicht angenehm. Doch die Männer waren immer super nett und freundlich und haben meist mit uns noch einen Tee getrunken und Scherze gemacht.
Pakistan ist eines der konservativsten Länder der Welt. Einerseits wurdest Du, Anne, häufig nicht beachtet, andererseits hast Du die „Verhandlungen“ geführt wie auf der Rückfahrt von Fairy Meadows. Wie hast Du Pakistan als Frau wahrgenommen?
Anne: Tatsächlich gehört auch das zu einer meiner härtesten Lektionen in Pakistan. Es war unheimlich gewöhnungsbedürftig am Anfang und diese Distanz, die zwischen Frauen und Männern in Pakistan herrscht, habe ich so in noch keinem anderen muslimischen Land gespürt. Als ich mich dann aber etwas daran gewöhnt habe und statt einer ausgestreckten Hand nur noch mit dem Kopf genickt habe, dann ging es irgendwie. Der Mensch ist eben doch ein Gewöhnungstier und kann schnell absolut wirre Dinge als völlig normal abstempeln. Umso mehr hab ich mich dann natürlich gefreut, dass ich in Diskussionen und Verhandlungen immer am längeren Hebel saß. Das war echt faszinierend und auch irgendwie gleichzeitig total konträr. Eine Sache, die ich jedoch bis zum Ende unserer Reise nicht wirklich wahrhaben konnte ist, dass ich unheimlich wenige Frauen gesehen habe. Bis heute ist es Frauen in Pakistan nicht wirklich gestattet, allein auf der Straße unterwegs zu sein. Für mich absolut unvorstellbar.
Über die Begegnung mit Fatima in der Moschee in Islamabad sagst Du, Anne, sie versprühe keinerlei Selbstbewusstsein; Mina, die Ihr ebenfalls in Islamabad kennengelernt habt, scheint modern und westlich zu sein. Wie hast Du die Frauen in Pakistan erlebt?
Anne: Pakistan ist regional so unglaublich unterschiedlich, dass sich das natürlich auch auf die Familienverhältnisse und Rollenverteilungen auswirkt. Während in Islamabad, der modernen Hauptstadt, die Oberschicht lebt, wie zum Beispiel Diplomaten, Politiker und Wirtschaftsriesen, sind die ländlichen Regionen geprägt von Armut und wirklich traditionellen bis konservativen Lebensweisen.
Und genau so habe ich auch die Frauen kennengelernt. Einige von ihnen waren super offen, modern, hatten eigene Blogs oder gut laufende Instagram-Kanäle. Andere jedoch waren schüchtern und haben zum ersten Mal in ihrem Leben eine westliche Frau gesehen. Die Frauen in Pakistan sind wirklich ein wenig abhängig von dem Umfeld, in dem sie groß werden. Während Frauen in Islamabad, Karatschi und Lahore es etwas einfacher haben, ihr „eigenes Ding“ zu machen, haben Frauen in den ländlichen Regionen kaum Spielraum.
Sollte eine allein reisende Frau Pakistan auf ihre Bucket List setzen?
Anne: Ich kenne einige Frauen, die allein in Pakistan unterwegs waren und würde es mir selbst auch zutrauen. Ich habe mich in kaum einer Situation komisch gefühlt, kann aber natürlich nicht zu 100% meine Hand dafür ins Feuer legen, dass es für alle Frauen dieser Welt in Pakistan auch so laufen würde. Wer jedoch etwas Erfahrung in muslimischen Ländern hat und sich der Kleiderordnung anpasst, sollte in Pakistan definitiv gute Reiseerfahrungen haben.
Nochmal zurück zu Fairy Meadows: Für mich als Bergliebhaber wäre es ein Traum, einmal den Nanga Parbat aus der Nähe zu sehen. Wie hat sich das angefühlt, morgens bei Sonnenaufgang vor diesem Koloss zu stehen? Hat sich die risikoreiche, beschwerliche Anreise gelohnt?
Anne: Ich hab mir tatsächlich extra den Wecker gestellt und stand dann zitternd vor unserer Hütte und hab versucht ein scharfes Foto zu schießen. Spoiler: Fast alle sind verwackelt. Dennoch war der Anblick einfach atemberaubend. Ich kannte den Nanga Parbat bis dato nur aus Filmen und Dokumentation und kann jetzt sagen, dass er in Wirklichkeit noch einmal umso krasser und einschüchternder wirkt. Allein dafür hat sich der Aufstieg gelohnt.
Clemens: Ich hab durch die Höhenkrankheit ja kaum geschlafen und musste irgendwann mitten in der Nacht auf Klo. Das war das erste Mal, dass ich den schneebedeckten Nanga im Mondlicht gesehen habe und, ja, ich hatte echt Gänsehaut. Dieser Berg ist einfach der Wahnsinn und ich ziehe meinen Hut für alle, die es auch nur ansatzweise bis zum Gipfel schaffen.
Bei all dem Nervenkitzel, der eine Reise durch ein Land wie Pakistan mit sich bringt. Gab es auch Orte oder Momente zum Durchatmen? Was war Euer schönster Reisemoment?
Anne: Ich kann einfach nicht aufhören, von Lahore zu schwärmen. Diese Stadt bietet einfach so viel! Wir haben uns direkt am ersten Tag in der Altstadt verloren, sind durch Gassen geschlendert und sogar auf Minarette gestiegen. In Lahore kann man so viel machen und erleben, dass man locker zwei, drei Wochen bleiben könnte.
Clemens: Die Pakistaner selbst sagen auch, dass man Pakistan nicht kennt, wenn man Lahore nicht erlebt hat und das stimmt wirklich. Zwar ist die Stadt anstrengend und chaotisch, aber sie erzählt gleichzeitig so viele Geschichten, denen man an fast jeder Ecke lauschen kann.
Anne: Die Krönung unseres Stopps in Lahore war, als wir ein Restaurant mit einer kleinen Dachterrasse gefunden haben. Es befand sich direkt gegenüber der riesigen Badshahi Moschee in Lahore und hatte somit den perfekten Blick über die Stadt. Wir saßen da zum Sonnenuntergang, konnten dem Muezzin lauschen und dem Trubel von Lahore aus der Vogelperspektive folgen. Das war wirklich ein Gänsehaut-Moment.
Pakistan auf eigene Faust, nur ein Flugticket in der Hand und keinen Plan, das klingt nach Abenteuer pur. Wie habt Ihr Eure Reise geplant? Wie habt Ihr Eure Transporte, Touren und Unterkünfte organisiert? Nach welchen Kriterien habt Ihr Eure Route und die Orte, die Ihr besuchen wolltet, ausgewählt?
Clemens: Wir haben uns bewusst dafür entschieden, nichts genau zu planen. Bisher gibt es außerdem über Pakistan keinen einzigen Reiseführer und nur vereinzelte Artikel im Netz – viel recherchieren konnten wir also sowieso nicht.
Anne: Für die ersten beiden Nächste haben wir uns in Islamabad eine Unterkunft gebucht. Mit dem Eigentümer haben wir uns direkt super gut verstanden und mit ihm quasi eine kleine Route abgesteckt. Dabei war es uns wichtig einen Mix aus Städten und ländlichen Regionen zu haben.
Clemens: Ansonsten kann man Pakistan so bereisen, wie die meisten Backpacking-Destinationen – mit dem Zug, Bus, Taxi, Uber und auch mit einem privaten Transport. Auch Hotels und Gasthäuser gibt es eine Menge, die man ganz einfach über Booking buchen kann. Wir haben all das immer kurzfristig vor Ort gemacht und sind damit ganz gut gefahren.
Was sind die drei wichtigsten Tipps, die Ihr jemanden, der jetzt auch den Rucksack packen für eine Reise durch Pakistan will, mit auf den Weg geben würdet?
Anne: Wer Pakistan richtig erleben will, der muss ein bisschen Zeit mitbringen und Geduld. Pakistan ist kein Land, in dem alles nach Plan läuft. Je offener man sich also seine Reiseroute hält, desto mehr wird man erleben.
Clemens: Ansonsten sollte man ein paar mehr Passkopien einstecken, denn die braucht man vor allem auf der Fahrt in den Norden.
Anne: Unser letzter Tipp? Wer nicht offen ist für die Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Pakistaner, der wird einiges verpassen.
Tausend Dank an Anne und Clemens für das spannende Interview zu den packenden Abenteuern in Pakistan!
Mehr über „Backpacking in Pakistan“
„Backpacking in Pakistan“ ist bei Conbook erschienen, hier findet Ihr weitere Informationen über das Buch und die Autoren sowie eine Leseprobe.
Wer jetzt Lust bekommen hat auf dieses faszinierende Land und das Ganze am liebsten direkt nachreisen möchte: Auf ihrem Blog Travellers Archive haben Anne und Clemens eine ganze Reihe von Artikeln zu den Hightlights ihrer Pakistan-Reise veröffentlicht mit vielen Informationen zu den besuchten Orten, Sehenswürdigkeiten und praktischen Tipps.
© Copyright Fotos: Anne Steinbach und Clemens Sehi, Travellers Archive