Eigentlich bin ich noch in Amritapuri in Kerala, im Ashram von Amma, und warte darauf, mir meine Umarmung von der „hugging mother“ abzuholen. Ich mache heute dennoch einen zeitlichen und geografischen Sprung – nach Rishikesh, in den Norden Indiens.

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Rishikesh, heilige Stadt am Ganges, Eingangstor zum Himalaya, ungekrönte Yoga-Hauptstadt – seit ich vor einigen Jahren einen Bericht über die Indien-Reise der Beatles las, wollte ich unbedingt einmal an diesen magischen, spirituellen Ort. Wollte mich wie John, Paul, George und Ringo in Selbsterfahrung üben am „Ort der Seher“, so die wörtliche Übersetzung, der seinerzeit neben den Beatles auch Musik- und Hollywood-Größen wie Donovan, die Beach Boys, Clint Eastwood und Mia Farrow in ihren Bann gezogen hat.

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Seitdem sich die vier Liverpooler 1968 unter die Fittiche von Maharishi Mahesh Yogi begaben und sich von der Transzendentalen Meditation inspirieren ließen, hat sich viel getan in Rishikesh. Bei meiner Ankunft war ich zunächst ernüchtert. Einen spirituellen Ort hatte ich mir anders vorgestellt. Als ich vollgepackt die Ram Jhula Brücke überqueren wollte, um zu meiner Unterkunft, dem Green View Hotel zu gelangen, kam ich kaum vorwärts. Ich hatte einen Feiertag erwischt, die enge Brücke und die Gässchen des kleinen Ortsteils Ram Jhula waren verstopft mit indischen Tagestouristen. Ein einziges Chaos. Und ein Ort des Kommerzes. Mich empfingen riesige Reklametafeln. Hotels, Restaurants, Yoga-Schulen, Yoga-Lehrer, sie alle warben um Kundschaft. Der Weg am Fluss war ein Shopping-Eldorado, ein Geschäft reihte sich an das nächste, CDs mit heiliger Musik, Bücher mit heiligen Inhalten von Osho & Co, billige Kleidung, billiger Schmuck.

In Swargashram, etwas weiter den Fluss hinunter, wurde es zum Glück etwas ruhiger. Hier konnte ich schon einen Blick auf das berühmteste Ashram von Rishikesh erhaschen, das Parmath Niketan Ashram, und auf das Sri Ved Niketan Ashram, wo ich in den kommenden Tagen vor dem Frühstück den nach unten und nach oben schauenden Hund übte. Der Lehrer, der dort unterrichtete, war übrigens höchstens 20, hatte aber den Habitus eines großen Meisters. Als ich wegen einer Verabredung einmal früher gehen wollte, bekam ich einen heftigen Rüffel vor versammelter Mannschaft. Ich packte beschämt meine Yoga-Matte und trollte mich davon. Om Shanti …

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Ich hatte nämlich einen vollen Terminkalender. Bei einer abendlichen Iyengar-Yoga-Stunde im Green Hotel lernte ich Angelika kennen. Angelika kam schon seit 30 Jahren nach Rishikesh und kannte jeden Winkel, jedes Ashram und jeden Guru. Sie wusste, welcher Meister wo anzutreffen war, wo Swami Yogananda, der mit über 100 Jahren älteste Yogalehrer Rishikeshs, seinen Unterricht gab, wie man die Wächter des verfallenen Beatles-Ashrams milde stimmen konnte und wo es das beste Frühstücks-Müsli gab.

Durch Angelika begegnete ich Shanti Mayi und Sri Prem Baba, zwei Meister aus der Sachi-Tradition, die mehrere Monate im Jahr in Rishikesh verbrachten und im Sacha Dham Ashram in Lakshman Jhula ihre Satsangs abhielten. Ich war beeindruckt von der resoluten Amerikanerin mit der randlosen Brille und dem strengen Haarknoten und dem bärtigen Brasilianer mit dem weißen Rauschebart, der auch „Father of Love“ genannte wurde. Beide hatten ihr Leben in den Dienst der Erneuerung menschlicher Werte und der „Erleuchtung aller Wesen“ gestellt und hatten eine große Gefolgschaft, nicht nur in ihren Heimatländern, auch in Rishikesh. Der Raum platzte aus allen Nähten, wenn die beiden zum philosophischen Diskurs und zum Bhajan-Singen einluden. Es war für mich jedes Mal faszinierend festzustellen, wie mich die Atmosphäre bei solchen Veranstaltungen berührte. Wenn zweihundert Menschen gemeinsam Mantren singen, entsteht durch die Vibration der Sanskrit-Silben eine ganz besondere Energie und irgendwie ein Gefühl der Verbundenheit. Das mussten wohl auch die Beatles gespürt haben.

Angelika war natürlich schon mehrmals im „Beatles Ashram“, wie das ehemalige Domizil von Maharishi Mahesh Yogi inoffiziell genannt wird, begleitete mich aber trotzdem nochmal. Ich war ganz froh darüber, denn ich hatte komische Geschichten gelesen von Überfällen und seltsamen Begegnungen. Das Ashram liegt etwa zwanzig Minuten außerhalb und rottet vor sich hin. Eigentlich gehört es heute niemanden. Einige geschäftstüchtige Zeitgenossen waren jedoch clever, brachten ein dickes Vorhängeschloss am Tor an und kassierten je nach Tagesform zwischen 50 und 100 Rupien dafür, dass man durch das zugewucherte, dschungelartige Gelände stromern durfte.

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Die wie Eier geformten mosaikbestückten Hütten waren kurz vorm Verfallen. Wir wagten es dennoch, hineinzugehen. Und versuchten uns vorzustellen, wie die Beatles auf dem Dach ihrer Hütten saßen und meditierten. Ooohhhmm. Die Meditationshalle, in der der Guru seine Jünger um sich scharte und wahrscheinlich unter Zuhilfenahme bewusstseinserweiternder Substanzen in andere Welten führte, war hochgradig einsturzgefährdet. Wir inspizierten sie trotzdem. Irgendwelche Randalierer hatten Graffitis an die Wand geschmiert, von den Betonwänden bröckelte der Putz ab. Insgesamt eine skurrile Erfahrung, die aber zu einem Besuch in Rishikesh unbedingt dazugehört.

Nach einem kleinem Boxenstopp bei einem Bekannten von Angelika, der uns einen Tee auf dem Dach seines Hauses servierte, stand noch das Aarti, die Feuerzeremonie, am Ghat des Parmath Niketan Ashram auf dem Programm. Ich hatte Glück und durfte den berühmten Swami Chidanand Saraswatiiji, kurz „Pujya Swami“, aus direkter Nähe sehen. Ich kannte ihn bisher nur von Bildern, den imposanten Mann mit dem ebenso imposanten Bart, der heute Abend ein besonderes Ritual abhielt: Zwei seiner Schüler hatten kürzlich geheiratet und wollten ihre Ehe nun von Pujya Swami segnen lassen. Ich konnte nicht anders und musste wieder den Fotoapparat zücken, obwohl das sicherlich auch hier nicht gestattet war. Aber es war einfach zu aufregend und spannend, inmitten all der indischen Gläubigen zu sitzen. Das musste ich festhalten. Das Parmath Niketan Ashram richtet übrigens jedes Jahr das Internationale Yoga-Festivalaus. Vielleicht bin ich nächstes Mal endlich einmal dabei. Die Woche vom 1. bis 7. März 2014 ist jedenfalls schon in meinem Kalender markiert.

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Wer diesen Blog regelmäßig liest, weiß, wie gerne ich esse und dass ich auf meiner Reise weder der indischen Küche noch den köstlichen Kuchen nach deutscher Rezeptur widerstehen konnte. Deshalb zu guter Letzt noch zwei kulinarische Tipps aus Rishikesh. Natürlich hat auch Rishikesh seine German Bakery, das „Devraj Coffee & Corner“ an der Lakshman Jhula-Brücke. Hier aß ich nach dem morgendlichen Yogaunterricht frisch gebackene Zimtschnecken, stärkte mich nach dem Satsang mit einem Yak-Käse-Sandwich – der Käse aus der Milch der Himalaya-Rinder schmeckt übrigens tausend Mal besser als jeder Schweizer Bergkäse – trank Cappucchino und genoß den Blick auf den türkisfarbenen Ganges und die Berge im Hintergrund. Ich fand auch meinen „Müsli-Himmel“ in Rishikesh, das „Office Café“ in Swargashram. Eine riesige Schale Müsli mit echtem Joghurt und frischen Früchten und der Tag gehörte mir!

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In diesem Sinne freue ich mich schon auf mein Frühstück morgen früh, wenn auch nur auf meiner Schwabinger Loggia. Mit der bimmelnden Straßenbahn anstatt des Plätscherns des heiligen Ganges als Hintergrundmusik. Im nächsten Beitrag geht es dann weiter mit meinem Abenteuer bei Amma in Kerala. Nach Rishikesh fahren wir später nochmal!

11 comments

  1. …ich lese ja immer schon gerne deine Berichte, aber am tollsten sind immer die Fotos!!!

  2. aber schön, dass du auch die texte liest und nicht nur die bunten bildchen guckst 🙂

  3. interessanter Artikel Alexa!

    habe mich glatt in eine Reise nach Indien verliebt. Danke!

  4. freut mich 🙂 indien ist einfach ein tolles reiseziel, ich muss auch ganz bald wieder meinen rucksack packen!

  5. hallo es war sehr interessant deinen beroicht zu lesen meine Tochter weilt gerade in rishikes bei einem -guru der ein guesthouse besitzt neben dem ———–yoga zentrum kennst du ihn per zufall?ich weiss keinen namen von ihm..liebe -grüsse B:)

  6. freu mich, dass dir der bericht gefallen hat! ein guru mit guesthouse und angeschlossener yogaschule, da fällt mir spontan surinder singh ein, aber es gibt so viele lehrer und unterkünfte in riskikesh, das wäre schon ein großer zufall. wünsche deiner tochter auf jeden fall unbekannterweise noch eine tolle zeit dort! liebe grüße aus münchen, alexandra

  7. also ich habe nachgeschaut surinder singh ist es nicht da ich seine Bilder gesehen habe und mit dem guru meiner tochter habe ich einmal geskypt und er sah anders aus..

  8. ja, es gibt wirklich viele, viele lehrer in rishikesh! wünsche deiner tochter weiterhin viel spaß in rishikesh!

  9. Vielen Dank haben sie denn guete erfahrungen gemacht mit den gurus?manchmal macht es mir ein bisschen -Angst ,da sie noch so jung “22 ist und die Welt der Gurus mir so unbekannt,mache mir sorgen ob sie nicht finanziel und ev.auch sexuell ausgenutzt wird…
    ich frage sie einmal ,wie “ihr ” guru heisst.
    die adresse ist

    Delhi Darshan guest house
    Badrinath Rd, Near Patanjali Yoga Foundation
    Tapovan, Luxmanjhulla, Rishikesh
    Distt. Tehri-Garhwal, Uttarakhand 249192
    India

    liebe Grüsse Beatrice

  10. Ich war 1978 in Rishikesh und hatte auch Freunde in Maharishis Ashram…damals gab es überhaupt keinen touristischen Rummel, geschweige denn irgendwelche Coffeeshops, German bakery, Souvenirstände oder Pseudogurus auf der Suche nach “spirituellen Kunden”.
    Dein Erzählstil ist interessant, geeignet deine Story zu puschen und törnt spirituelle Greenhörner sicher gut an…. grins
    Deiner Darstellung Maharishi hätte den Beatles Halluzinogene verabreicht, muss ich allerdings energisch widersprechen. Eher vielleicht umgekehrt ! lach Wir haben damals Tag aus Tag ein fast nur meditiert. Es war eine sehr schöne Zeit !
    Leider habe ich Tatwalle Baba und Ma Anandmayima nicht getroffen, hatte aber ein Darshan von Masdram Baba.
    Vielleicht meldest du dich mal, weil ich die eine oder andere Frage bzgl Rishikesh an dich hätte…. u.a. suche ich einen Sadhufreund von damals, der sich vermutlich dort immer noch herumtreibt…

  11. 1978 in Rishikesh, das klingt ja sehr spannend! Meine Nachbarin war Ende der Siebziger auch dort unterwegs, sie ist über den Landweg von Griechenland über Nepal nach Indien. Rishikesh ist heute supertouristisch, leider. Auf meiner Fotowebseite findest Du einige Bilder von Sadhus aus Rishikesh, vielleicht findest Du ja dort Deinen Spezi ;-). Die Halluzinogene und der Maharashi, das ist zumindest das, was überall zu lesen ist. Gut zu wissen, dass es anders herum war! Viele Grüße, Alexandra

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