Desmond-Rebeiro Kochi

Reisebegegnungen: Desmond Rebeiro, der malende Paradiesvogel aus der Princess Street

Was ich gestern unternommen hätte, fragt mich meine Gastfamilie in Fort Cochin beim Frühstück. Ich hätte durch Zufall einen Maler kennengelernt und ihn in seinem Atelier in der Princess Street besucht, erzähle ich zwischen Masala Dosa, Kokos-Chutney, Chai und frischen Ananas. Oh, bei dem Verrückten sei ich gewesen? Ich muss noch nicht einmal einen Namen nennen und Mike und Jaicy wissen sofort, von wem ich rede. Desmond Rebeiro kennt offenbar jeder in Fort Cochin, ein stadtbekannter Paradiesvogel. Die meisten denken, er habe irgendwann die Bodenhaftung verloren und sei durchgeknallt.

Damit könnten sie recht haben, Mike und Jaicy und ihre Nachbarn im beschaulichen, malerischen Fort Cochin. Ich dachte zunächst, mich würde wieder einer der vielen Verkäufer anquatschen, als mir bei meinem Bummel durch die Princess Street ein „Hey, how are you?“ entgegen tönt. Doch es war keiner der geschäftstüchtigen Kaschmiri, die mir jeden Tag ihre überteuerten Schals, Tuniken und Bettüberwürfe anpriesen, sondern ein Mann mit langem, grauem Bart, Rastamähne, Brille und orangefarbenem T-Shirt mit aufgedruckten „Om“-Symbolen. Was ich hier mache? Er habe mich schon ein paar Mal mit meiner Kamera vorbeilaufen sehen. Wir kommen ins Reden. Er fragt mich, ob ich nicht hineinkommen wolle in sein Atelier. Why not? Er wirkt irgendwie interessant. Und ein Faible für Kunst und Künstler habe ich auch. Ich erzähle ihm von meiner Bloggerreise. Er erzählt mir sein ganzes Leben.

Desmond Rebeiro Kochi

Desmond Rebeiro Kochi

Desmond Rebeiro Kochi

Desmond, das schwarze Schaf der Familie

Nach anderthalb Stunden kenne ich seine ganze Familiengeschichte. Seinen portugiesischen Nachnamen Rebeiro verdankt er seinem Großvater, ein Schuhmacher aus Portugal, den es nach dem zweiten Weltkrieg nach Fort Cochin verschlagen hat. Seine Großmutter stammt aus Pondicherry in Tamil Nadu. Die beiden haben sich in Fort Cochin kennengelernt, wo auch sein Vater geboren wurde. Seine Mutter kommt aus Goa. 1954 kam Desmond zur Welt, als viertes Kind. Er hat drei Schwestern und acht Brüder. Eine Großfamilie, die selbst für indische Verhältnisse überdurchschnittlich kinderreich sei, lacht Desmond.

Desmond war das schwarze Schaf der Familie. Auf Schule hatte er keine Lust. Nachdem er ein paar Mal sitzen geblieben ist, hat er mit 14 einfach seine Schulbücher im Meer versenkt. Statt zur Schule zu gehen, spielte er lieber Fußball. Profifußballer wollte er werden. Nachdem daraus nichts wurde, hat er sich schließlich doch dem Willen seines Vaters gebeugt, etwas zu lernen. Er wurde nach Hyderabad geschickt. Dort hat er eine Ausbildung gemacht zum Techniker und hat als Maschineneinrichter und Elektriker in verschiedenen Fabriken gearbeitet.

Vom Gewerkschaftsfunktionär zum Aussteiger

Nach fünf Jahren ist er nach Fort Cochin zurückgegangen und hat in den Werften von Ernakulam und auf den Schiffen gearbeitet, die vor Wellington Island liegen. Doch das taugte ihm auch alles nicht. Fremdbestimmt zu arbeiten war nichts für ihn. In den 1980ern begann er, sich politisch zu engagieren, vor allem in der Gewerkschaft. „Long live communism, down with corporatism“ – Parolen wie diese, denen man in Kerala, eine der kommunistischen Hochburgen Indiens, überall begegnet, wurden seine. Vom einfachen Gewerkschaftsmitglied arbeitete er sich hoch bis zum Generalsekretär der Cochin Port Dock Labour Union.

1989 hatte er endgültig die Faxen dicke: „Nie wieder in meinem Leben arbeite ich für kein Geld der Welt für irgendein Management!“ Er packte seine Taschen und begann zu reisen. Um das Leben kennenzulernen, wie er sagt. Fast zehn Jahre reiste er kreuz und quer durch Indien. Irgendwann hatte er den Wunsch, seine Erlebnisse, seine Erfahrungen, seine Gedanken künstlerisch zum Ausdruck zu bringen. Er begann zu malen. Das war im Jahr 2000. Bis dahin habe er keine Ahnung von Kunst gehabt, erzählt er. Bis auf Kampagnenposter für die Gewerkschaft gab es keinerlei Berührungspunkte mit Gestalterischem. Er kehrte abermals nach Fort Cochin zurück, in sein Elternhaus in die Princess Street, und fragte seine Mutter, ob er das Erdgeschoss für sich haben kann. Er richtete sich das Atelier ein, in dem ich heute mit Desmond auf dem Boden hocke.

National Painters Camp und internationale Anerkennung

Sein erstes Bild hieß „Monsun“. Fünf bis acht Bilder habe er zu Anfang jede Woche gemalt. Eines Nachmittags lief eine Frau die Princess Street entlang, eine Engländerin, Mary. Sie sah Desmond in seinem Atelier und fragte, ob sie hineinkommen darf. Sie war so begeistert von seiner Kunst, dass sie direkt drei Bilder kaufte. Ihm liefe noch immer eine Gänsehaut über den Rücken, wenn er daran denke, sagt Desmond. Jemand möchte seine Bilder kaufen? Er malt doch einfach nur, was er fühlt.

Der Kontakt zu Mary, die selbst Künstlerin ist, war der Beginn einer Laufbahn als anerkannter Maler. Desmond’s Bilder hängen heute auf der ganzen Welt, in England, Frankreich, Spanien, Deutschland, Österreich, Australien und den USA. 700 Bilder habe er inzwischen verkauft, berichtet er. Er hat am National Painters Camp teilgenommen, zu der die Kerala Lalithakala Akademi jedes Jahr zwölf ausgewählte Künstler für zehn Tage einlädt, und durfte bei einer vom Bundesstaat Kerala kuratierten Ausstellung seine Werke zeigen.

Inspiriert durch Reisen, Menschen, Ganja und Brandy

Er zeigt mir seine Bilder – Landschaften, Tiere, Menschen, alles sehr bunt und sehr abstrakt. Der Umgang des Menschen mit der Umwelt liegt ihm sehr am Herzen, vor allem der Kampf um sauberes Wasser, ein großes Thema in Indien. Die Natur inspiriere ihn am meisten, sagt Desmond. „The mother is calling“, sagt der 62-Jährige mit den lachenden Augen, der die ersten 30 Jahren seines Lebens ein gläubiger Katholik war. Heute glaubt er an die göttliche Mutter, an die Natur, an die Kreation, an das Universum. All das inspiriert ihn in seiner Arbeit, genauso wie seine Reisen und die Menschen, denen er unterwegs begegnet ist. Inspiration zieht er auch aus dem Genuss von Ganja, dem heiligen Kraut, das schon Lord Shiva in andere Sinneszustände katapultiert hat. Seit 30 Jahren rauche er regelmäßig einen guten Joint. Es erhelle seine Sinne, lacht er. Manchmal male er dann drei, vier Bilder nacheinander. Manchmal auch gar keines. Dann hilft auch das Glas Brandy am Abend nicht, seine tägliche Medizin.

Desmond Rebeiro Kochi

Desmond Rebeiro Kochi

Desmond Rebeiro Kochi

Der Raum, in dem wir sitzen, ist nicht nur eine Galerie. Es ist Desmond’s Atelier, Wohnzimmer und Schlafzimmer. Zum Duschen und Essen geht er nach oben, dort lebt die erweiterte Familie Rebeiro, acht an der Zahl. Seinem Neffen Randy hat er den Namen seiner Galerie gewidmet – Ran Des Bowl. Seiner kommunistischen Gesinnung aus der Zeit als Gewerkschaftsaktivist ist Desmond übrigens treu geblieben. Religion und Politik habe uns Menschen verdummen lassen, habe uns zu Eseln werden lassen, ohne Rechte und ohne eigene Stimme, wettert er energisch. Für die Zukunft sieht er schwarz. In seinen Augen wird sich erst etwas ändern, wenn die Systeme vollends kollabieren. Mit seiner Kunst will er einen kleinen Beitrag leisten: „Art is a call for change.“

Durchgeknallt ist er schon ein wenig, der malende Paradiesvogel aus der Princess Street. Aber ein gastfreundlicher und interessanter Paradiesvogel, mit dem ich mich gerne unterhalten habe. Seine Mails würde er nie lesen, winkt er ab, als ich ihn nach seiner Mailadresse frage, um ihm die Fotos zuzuschicken, die ich von ihm gemacht habe. Ich habe ihn gestern auf LinkedIn gefunden, ich bin gespannt, ob er sich an mich erinnert und meine Kontaktanfrage bestätigt. Ich werde ihn und diese zufällige Begegnung jedenfalls nie vergessen.

Desmond Rebeiro Kochi

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Blogparade „Reisebegegnungen“

Mit diesem Beitrag nehme ich an der Blogparade „Reisebegegnungen“ von Ariane von Heldenwetter teil. Begegnungen wie mit Desmond Rebeiro sind für mich das Salz in der Suppe auf meinen Reisen. Während ich historische Dakten und Fakten und den Namen des Architekten eines bedeutsamen Monuments in der nächsten Minute vielleicht schon wieder vergessen habe, werde ich mich immer an solche einprägsamen Momente erinnern.

Ich bin jedes Mal wieder fasziniert, wie einfach es auf Reisen ist, mit wildfremden Menschen in Kontakt zu treten. Meistens ist es der Zufall, der die Menschen zueinander bringt. Man läuft zufällig in der einen Minute durch die eine Straße, sitzt in der einen Minute an dem einen Tisch. Wirft sich einen Blick zu, beginnt ein Gespräch. Manche dieser Begegnungen bleiben seicht und verlaufen im Sande, andere sind intensiv und der Kontakt geht weit über diesen einen flüchtigen Moment hinaus. Die einen sieht man nie wieder, mit den anderen bleibt man in Kontakt, und wenn es nur virtuell über die sozialen Medien ist. Und aus einigen zufälligen Reisebegegnungen entstehen tatsächlich Freundschaften, die schon seit Jahren halten.

Mehr über das Thema Reisebegegnungen könnt Ihr übrigens in meinem Beitrag „People: Ein buntes Kaleidoskop an Reisebekanntschaften“ lesen.

6 comments

  1. Was für eine großartige Geschichte 🙂 Wie toll, dass du seiner Einladung nachgekommen bist und zugehört hast. Daraus ist wirklich ein toller Text entstanden – fast schon eine kleine Reportage 🙂 Vielen lieben Dank, dass du ihn zu meiner Blogparade einreichst, da fühl ich mich fast schon geehrt!

  2. Vielen lieben Dank, Ariane, freut mich sehr, dass Dir der Text gefällt! Ich wollte ihn schon seit langem schreiben, Deine schöne Blogparade gab mir jetzt endlich den Anlass dazu :-).

  3. Ein schöner Text. Haha, ich kann mir vorstellen, dass dieser lustige Kerl Eindruck hinterlassen hat. Ich finde auch, dass die Begegnungen das beste am Reisen sind. Manchmal sind es genau diese scheinbar zufälligen Bekanntschaften, die einem den Input geben, den man gerade braucht 🙂 Ach, ich freu mich schon auf meine nächste Reise 😀 Liebe Grüße nach München!!

  4. lieben dank :-). leider checkt der desmond seine mails ja nicht, sonst hätte ich ihm zumindest gerne ein paar der fotos geschickt. ich liebe solche begegnungen! hast du schon neue reisepläne? liebe grüße nach köln!

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