Buddhistische Klöster in Ladakh II: Zur Morgenpuja bei den Gelbmützen in Thikse

Wenn Du Thikse besuchst, musst Du unbedingt mindestens eine Nacht dort verbringen und die Morgenpuja besuchen, sagten Annett und Vau, die beiden Australier, die ich während meines Meditationskurses in Choklamsar kennenlernte. Ja, in einem buddhistischen Kloster übernachten wollte ich schon lange einmal. Immer wieder hatte ich mir während meiner Asienreisen ausgemalt, mich für einige Tage in ein Kloster zurückzuziehen, abgeschieden von der Außenwelt, ganz spartanisch zu leben, mit den Mönchen oder Nonnen zu meditieren, zu essen, zu schweigen. Eine Auszeit vom Weltlichen zu nehmen. Mehr über den Buddhismus zu lernen. Nicht nur in einem Meditationszentrum mit anderen Backpackern wie im Mahabodhi Center, sondern in einem “richtigen” Kloster.

Dass dies eine völlig romantische Vorstellung ist, die nicht so wahnsinnig viel mit der Realität zu tun hat und dass es in buddhistischen Klöstern heute zuweilen auch recht weltlich zugeht, hätte ich nach dem Besuch verschiedener Klöster in Ladakh eigentlich wissen müssen. Der moderne buddhistische Mönch von heute hat ständig sein Smartphone am Ohr, trägt stylische Sonnenbrillen, hat mitunter sogar einen Führerschein und fährt im kleinen Toyota oder Maruti Suzuki auf einen Cappuccino nach Leh. Er kennt sich mit den Ergebnissen der Fußballweltmeisterschaft besser aus als ich und fiebert  dem Endspiel entgegen, welches er zusammen mit seinen Glaubensbrüdern auf dem Fernseher im Gemeinschaftsraum der Klosterschule verfolgen wird. Das gilt sowohl für die Rotmützen als auch für die Mönche des Gelbmützenordens, zu denen das Kloster von Thikse gehört.

Der Orden der tugendhaften Gelbmützen

Dabei gelten die Gelbmützen traditionell als besonders asketisch und sittenstreng. Das sagt schon der Name des Ordens, der im tibetischen “Gelupga” heißt, was übersetzt soviel heißt wie “Die Tugendhaften”. Der Orden der Gelbmützen geht auf einen Reformator im 15. Jahrhundert zurück, Tsongkhapa. Der war der Meinung, dass es um die Moral der Rotmützen nicht zum Besten bestellt sei und die Bewegung vom geistigen und sittlichen Verfall bedroht sei. Er gründete daraufhin den Orden der Gelbmützen als Gegenbewegung. Die sollte sich auf den “reinen” Buddhismus zurückbesinnen, das heißt sämtlichen mystisch-okkulten Praktiken abschwören, einem exakt festgelegten Tagesablauf folgen und streng das Zölibat einhalten.

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Ob die Gelbmützen in Thikse früher wirklich so asketisch lebten, weiß man nicht genau. Es heißt, sie seien lange Zeit nicht nur politisch, sondern auch finanziell vom Königshaus im benachbarten Shey unterstützt worden. Die Gelbmützen waren seinerzeit sehr einflussreich und bis um 1950 sogar die offizielle Schule des Buddhismus in Tibet. Der Dalai Lamai gehört übrigens auch dem Orden der Gelbmützen an.

Matratze “deluxe” und WC “western style” im klösterlichen Gästehaus

Ob unmoralische Rotmützen oder asketische Gelbmützen, ich möchte in Thikse übernachten, um der Morgenpuja beizuwohnen und bitte Ishey und unseren Fahrer, mich dort abzusetzen und alleine nach Leh zurückzufahren. Gerne wäre ich zu Fuß zur burgähnlichen Klosteranlage hochgelaufen, die 1440 erbaut wurde und von ihrer Architektur an den Potala-Palast in Lhasa erinnert. Doch der steile Zickzackweg durch die weißgetünchten Mönchsquartiere, die wie kleine Adlernester am Berg kleben, ist zuviel für meine trekkingmüden Beine. Also fahren.

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Ich habe Glück und es gibt noch ein Zimmer für mich, obwohl es mittlerweile bereits Spätnachmittag ist. Offenbar gibt es nicht so viele Besucher, die hier übernachten wollen. Von Annett und Vau wusste ich, dass man als Gast natürlich keinen Platz in den Mönchsquartieren zugewiesen bekommt, schon gar nicht als Frau, sondern im Gästetrakt, der sich im gleichen Gebäude wie das Restaurant und das Museum befindet. Nach acht Tagen Trekking kommt mir das Zimmer wie der pure Luxus vor, ein richtiges Bett mit einer richtigen Matratze und einem richtigen Badezimmer mit einer Toilette im Western Style, wenn auch auf dem Außengang. Hier könnte ich es durchaus länger aushalten, auch wenn es mal wieder keinen Strom gibt und ich weder mein Handy noch meine Kamera aufladen kann. Hoffentlich verschlafe ich am nächsten Tag die Puja nicht ohne Wecker.

Thanka-Räume, Maitreya-Tempel und Raum der Schutzgötter

Ich nutze die letzten anderthalb Stunden bis Sonnenuntergang, um die weitläufige Anlage des Klosters zu erkundigen, schaue mir den großen Versammlungsraum an, die Thanka-Räume, den Raum der Schutzgötter, den Maitreya-Tempel, klettere auf das Dach und genieße den Blick auf die umliegenden Berge, an denen ich mich nicht satt sehen kann. Ich werfe einen Blick in den Haupttempel, in dem die morgendliche Zeremonie stattfindet, schlendere durch den Hof und beobachte, wie die übrigen Touristen, hauptsächlich indische Familien, langsam den Rückzug antreten und die Mönche die Zeit bis zum Abendessen überbrücken. Die jüngeren spielen Fangen, necken sich, rennen die Treppen hoch und runter. Die erwachsenen Mönche stehen gemeinsam an der Mauer, reden und scherzen. Ein älterer Mönch kommt mit einer Einkaufstasche den Berg hoch, dreht kurz die große Gebetsmühle und geht hoch zur Kantine, in der es gleich  Abendessen geben wird.

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Ich bekomme mein Abendessen im Restaurant, Paneer Butter Masala. Nach einer Wocher Gemüse, Reis und Chappati stürze ich mich auf dieses würzige Köstlichkeit und bestelle eine Extraportion Naan. Mit Knoblauch. Köstlich. Ich beobachte die indische Familie am Nachbartisch. Wie die Mutter unbedingt ein Foto von sich mit einem ganz jungen Mönch haben möchte, höchstens fünf Jahre alt, ihn in den Arm nehmen will, der Junge das aber überhaupt nicht mag. Kein Wunder, dass die Mönche in frequentierten Klöstern wie Thikse immer weniger erpicht auf die Besuche von Touristen sind und sich sicherlich manchmal wie Ausstellungsstücke vorkommen. Ich gebe zu, ich fotografiere auch sehr gerne Menschen und die buddhistischen Mönche in ihren roten Roben haben es mir als Motiv besonders angetan. Ich versuche jedoch immer, mir vorher eine Erlaubnis einzuholen. Oder zunächst ins Gespräch zu kommen. Ob das jetzt so viel besser ist, weiß ich auch nicht. Zumindest versuche ich, nicht aufdringlich zu sein.

6.00 Uhr in Thikse: Buttertee, Tsampa und Mantren zur Morgenpuja

Nachdem die Elektrizität nach dem Essen immer noch nicht funktioniert und ich sowieso nichts zu Lesen dabei habe, liege ich schon um 20.00 Uhr in meinem Klosterbett. Und werde tatsächlich bei Morgengrauen auch ohne Wecker wach. Glück gehabt, wäre schon sehr ärgerlich gewesen, wenn ich die Puja verschlafen hätte. Ich bin nicht die Einzige, die um viertel vor sechs vor dem Haupttempel wartet, dessen Tür noch verschlossen ist. Ein indisches Pärchen hat sich bereits eingefunden und eine Engländerin mit kurzgeschorenen, grauen Haaren in indischer Kleidung, die ein bisschen aussieht wie eine Nonne. Wir kommen ins Gespräch. Das Pärchen ist schon um 4.30 Uhr in Leh aufgebrochen, um rechtzeitig hier zu sein, die Engländerin wohnt auch unten im Gästehaus.

Der diensthabende Mönch öffnet die Tür und wir dürfen uns hinten auf den Sitzkissen an der Wand einen Platz suchen. Nach und nach treffen die Mönche ein, Kinder, Jugendliche, Twens, ältere Herren, alle Altersklassen sind vertreten. Die ganz jungen nehmen auf den Bänken ganz außen Platz, dann kommen die Novizen und die älteren Mönchen. Offenbar ist es für viele der Mönche auch zu früh. Die Kleinen nutzen ihren Platz an der Wand hinter der Säule, um sich die Robe über den Kopf zu ziehen oder den Tisch auf den Kopf zu legen und noch eine Runde zu schlafen. Sie werden aber ertappt und handeln sich hinterher eine saftige Rüge ein von dem stellvertretenden Oberhaupt, der mit seiner Entourage an einem großen Tisch an der Nähe des Eingangs sitzt und alles im Blick hat.

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Dong. Dong. Dong. Die Trommeln, die an verschiedenen Stellen im Tempel stehen, werden betätigt. Die Zeremonie beginnt. Das Rezitieren buddhistischer Verse, das nun einsetzt, klingt sehr fremd für unsere westlichen Ohren, wie ein Gemurmel, das immer lauter wird, sich zu einem kleinen Orkan zusammenbraut und plötzlich verstummt. Bis wieder die Trommeln ertönen und es weitergeht. Während meine Müdigkeit wie weggeblasen ist, beobachte ich, wie immer wieder der ein oder andere Mönch einschläft, das Gemurmel und die Musikinstrumente scheinen nicht zu stören. Ich wundere mich, dass der Mönch an der Trommel immer pünktlich zu seinem Einsatz wieder wach wird. Wach werden alle auch in den kurzen Pausen, wenn die Novizen mit den großen Blechkannen mit Buttertee und Tsampa, einer Art klebrigen Reis, durch die Reihen gehen. Wir Gäste bekommen auch unsere Portion Tee und Reis. Leider habe ich mich immer noch nicht an den sehr eigenen Geschmack des Buttertees gewöhnt und muss meinen Becher nach einem Schluck verstohlen beiseite schieben. Das hat hoffentlich niemand bemerkt.

BlitzBlitzBlitz, KlackKlackKlack – deutsche Touristeninvasion

Meine Ohren gewöhnen sich langsam an das monotone Gemurmel und ich genieße die besondere Atmosphäre an diesem Morgen in dem wunderschönen alten Tempel mit seinen bunten Wandmalereien, den alten Trommeln und den Statuen, die die Schutzgottheiten des Buddhismus darstellen. Plötzlich geht die Tür auf und es ist vorbei mit der schönen Atmosphäre. Eins, zwei, drei, acht, elf, mindestens 15 Touristen stürmen in den Tempel und quetschen sich hinten zu uns in die Ecke, vor uns, neben uns, fast auf uns, bepackt mit Rucksäcken und riesigen Kameras mit Teleobjektiven. Und schon geht es los mit dem Blitzlichtgewitter. Klack. Klack. Klackklackklack. Ich kann leider nichts mehr sehen, weil plötzlich ein großes Objektiv an meiner Nase vorbeifährt. Als ich meine Sitznachbarin nach einer Weile frage, ob sie etwas dagegen habe, ihre Kamera etwas beiseite zu nehmen, werde ich angeraunzt, sie habe schließlich auch das Recht hierzu sein. Auf Deutsch. Aha. Ich habe es fast schon befürchtet, dass es sich um Landsleute handelt, die hier wie eine Horde Heuschrecken einfallen, ihre Kameras wie ein Maschinengewehr betätigen und nach zwanzig Minuten ebenso schnell und polternd wieder verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Wahrscheinlich müssen sie noch fünf andere Tempel an diesem Tag besichtigen und vorher noch im Hotel ihr Frühstück zu sich nehmen.

Das ist jetzt gemein, ungerecht und wenig buddhistisch, man soll ja nicht werten und über andere urteilen. Wie gesagt, ich fotografiere auch gerne. Ich habe auch während der Puja ein paar Bilder gemacht. Aber man kann auch das Klacken der Kamera ausstellen und auf den Blitz verzichten. Und zu einer solchen Zeremonie als Gast pünktlich zu kommen und sich ruhig zu verhalten, ist ein Gebot der Höflichkeit und des Respekts, oder?

Ich bin froh, dass ich bis zum Ende bleiben kann und keinem Tourguide zum Bus folgen muss. Ich habe zwar keine Ahnung, wie ich nach Leh zurückkommen soll. Doch irgendeine Mitfahrgelegenheit wird sich schon finden. Angeblich fahren unten an der Hauptstraße regelmäßig Linienbusse und Sammeltaxis. Ob und wie ich nach Leh zurückgekommen bin und welche interessanten Bekanntschaften ich noch in Thikse gemacht habe, erzähle ich im nächsten Post. Bis bald!

3 comments

  1. Wieder einmal ein wunderbarer Beitrag, den ich gern zum Frühstück genossen habe.

    Die Touristentouren sind auch nicht ganz so meins. Manchmal bleibt nichts anderes, aber ich bin auch gern allein unterwegs und schaue mir gern das länger an, was mich besonders begeistert.

    Es ist immer wieder interessant mehr darüber zu erfahren, wie es in Klostern zugeht und dass es doch sehr westlich scheint. Dennoch ein wahres Abenteuer und ich freue mich auf deine Fahrt nach Leh.

  2. Das freut mich :-).

    Ich war ja auch schon mal mit solchen Gruppen unterwegs, als ich das erste Mal in Indien war 2006 zum Beispiel, habe ich mich noch nicht getraut, alleine durch das Land zu reisen. Aber das war damals schon nicht meines und ich hatte glücklicherweise zwei ganze tolle Reisegefährten, mit denen ich immer auf Solopfaden unterwegs war.

    Ich fand es zunächst auch überraschend, dass die Klöster zum Teil so “weltlich” sind. Aber der Dalai Lama macht es ja vor und es ist ja auch gut, dass sie nicht abgekapselt leben.

    Liebe Grüße nach Berlin!

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