Buddhistische Klöster in Ladakh I: Bei den Rotmützen in Hemis

Als wir oben auf dem Kongmaru La trotz eisiger Kälte und durchdringendem Wind eine Verschnaufpause machen, telefoniert Ishey nicht nur mit ihrem Mann in Leh – ich bin immer noch erstaunt, dass das Handynetz dort oben auf über 5.000 Metern überhaupt funktioniert – sondern auch mit ihrem Cousin. Der ist Mönch und lebt im Kloster von Hemis, das zum Abschluss unserer Trekking-Tour auf dem Programm steht. „Bist Du heute Nachmittag da?“, fragt sie. Nein, leider nicht. Er sei schon in Leh. Dort beginnt in wenigen Tagen das Kalachakra, der zweiwöchige Initiationsritus durch den Dalai Lama, zu der buddhistische Mönche und Buddhisten aus aller Welt anreisen.

Schade, ich hätte ihn gerne kennengelernt, den Cousin meiner Trekking-Guide. Er war Anfang zwanzig und lebte schon als kleiner Junge in Hemis. In den buddhistischen Familien Indiens, ähnlich wie in Südostasien, ist es üblich, mindestens einen Sohn in ein Kloster zu schicken, in der Regel den ältesten. Vielen Familien fehlt es an finanziellen Mitteln, ihren Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen. Im Kloster werden die Jungen nicht nur in die Lehren des Buddhismus eingeweiht, sondern erhalten in der angeschlossenen Klosterschule jeden Tag Unterricht in Schreiben, Lesen, Mathematik und im Idealfall auch in Englisch.

Reichstes Kloster in Ladakh

Es wäre sicherlich spannend gewesen, sich mit Isheys Cousin zu unterhalten und eine persönliche Führung durch das berühmte Kloster zu bekommen, das nicht nur zu den größten Ladakhs gehört, sondern mit seinen vielen Ländereien auch zu den wohlhabendsten. Das verdankt das Kloster, das etwa 45 Kilometer von Leh entfernt liegt, seinen früheren Verbindungen zum ladakhischen Königshaus, die seinerzeit die Kloster der sogenannten Rotmützen, zu dem auch Hemis gehört, unterstützt haben.

Wie die meisten Klöster in Ladakh thront auch Hemis hoch oben auf einem Berg oberhalb des Industals, mit einer atemberaubenden Aussicht auf die umliegenden, kargen Berggipfel. Bei der zwanzigminütigen Fahrt die serpentinenförmige Straße hinauf frage ich mich allerdings, wo hier ein Kloster versteckt sein soll, das mehrere Hundert Mönche beherbergt. Doch den Manimauern und Chörten am Straßenrand nach zu urteilen kann es nicht mehr weit sein.

hemis_hof

mönchsquartiere_hemis

Von außen sieht Hemis im Vergleich zu Klöstern wie Thikse oder Likir recht unscheinbar aus. Doch dieser Eindruck täuscht. Denn in seinem Inneren versteckt es einige Juwelen. So beherbergt Hemis nicht nur die größte Gebetsmühle Ladakhs, sondern auch das größte Thanka. Leider wird das gigantisch-große Rollgemälde, auf dessen feinem Seidenstoff Szenen mit buddhistischen Gottheiten abgebildet sind, nur alle zwölf Jahre zu Ehren des berühmten Maskenfestes ausgerollt, das jedes Jahr im Juni beziehungsweise Juli stattfindet.

Druckchen Rinpoche – geistiges Oberhaupt der Drukpas mit Facebook-Fanpage

Leider habe ich meinen Besuch in Hemis zeitlich nicht gut geplant. Das Maskenfest findet erst in zehn Tagen statt, kurz vor meiner Weiterreise nach Kaschmir. Auch von den 350 Mönchen, die hier leben, ist kaum jemand zu sehen. Die meisten seien schon in Leh, meint Ishey, die scheinbar jeden hier kennt. Sie plaudert hier, quatscht dort. Woher sie die Mönche kennt, frage ich sie. Über ihren Cousin? Nein, nein. Sie kenne sie gar nicht alle. Aber sie gehörten demselben Orden an. Ihre Familie folge der Schule des Drukpa Kargyüpa-Ordens, einem der Rotmützenorden, dessen geistiges Oberhaupt gleichzeitig der Rinpoche von Hemis ist. Jetzt sehe ich, dass mich von dem kleinen Anstecker auf ihrer Fleecejacke dieselben ausdrucksstarken, braunen Augen anlachen wie von den Fotos, die überall in Hemis hängen. Es sind die Augen von Gyalwang Drukpa oder Druckchen Rinpoche, wie ihn die Ladakhis nennen. Er sieht irgendwie ein wenig europäisch aus, finde ich. Die Fotos müssen aus früheren Jahren stammen, auf dem Profilbild seiner Facebook-Page sieht er deutlich älter aus mit einigen Lachfalten um die Augen und auf dem immer strahlenden Gesicht.

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Ja, die Rinpoches in Ladakh sind moderne Klosteroberhäupter, eine eigene Social-Media-Präsenz ist selbstredend. Überhaupt ist der Druckchen Rinpoche offensichtlich ein moderner, aufgeschlossener Mann, der viel in der Welt herumreist, mehrere Meditationszentren in Europa und den USA unterhält und sich für Nachhaltigkeit und Gleichberechtung einsetzt. Dies tut er unter anderem über die von ihm gegründete Stiftung „Live to Love“, die sich um Umwelt-, Bildung- und Gesundheitsthemen kümmert und die unter anderem auch die sogenannten Eye-Camps organisiert, die auch Aroma-Bar-Besitzer Jürgen Altmann unterstützt, den ich letzten Sommer zu seinem Projekt „Shades of Love“ interviewen durfte.

Der Drukchen Rinpoche ist leider ausgeflogen bei unserem Besuch in Hemis. Als wir über den Tempelhof schlendern, in dem das berühmte Maskenfest stattfindet, und die mit Millionen von Zetteln mit Gebeten gefüllte Gebetsmühle drehen, sind wir fast alleine. Dort, wo zu Ehren des Maskenfestes wahre Besucherscharen einfallen, sind nur einige wenige indische Touristen unterwegs und ein paar Backpacker, die ihren staubigen Wanderschuhen nach zu urteilen ebenfalls von einer Trekkingtour kommen. Sogar zwei bekannte Gesichter sehe ich, die beiden „Ich-reite-mal-eben-in-Jeans-und-Turnschuhen-auf-dem-Pony-in-den-Himalaya“-Inder, die in ihren dünnen Pullis zitternd und frierend den Kerosinofen unseres Camp in Nimaling nicht mehr verlassen haben. Sie haben offenbar den Schneeeinbruch überstanden und auch den Weg zurück ins Tal gefunden.

Rote Segensbändchen – Zeichen für Mut und Verbindung von Körper und Seele

Wir statten dem Museum einen Besuch ab, klettern auf das Dach und genießen den Blick auf die Berge, die sich gegen den strahlendblauen Himmel abzeichnen. Wir bewundern die wunderschönen Wandmalereien in dem alten Tempel und sehen dem diensthabenden Mönch dabei zu, wie er lange, rote Baumwollfäden miteinander verknüpft. Diese Bänder sind für das Kalachakra, für die Pilger. Es sind gesegnete Bänder. Die Farbe rot steht für Mut. Ich trage übrigens auch so ein rotes Band. Das habe ich während einer Zeremonie im Kloster von Likir vom dortigen Rinpoche bekommen. Im Buddhismus glaubt man daran, dass durch das Tragen eines solchen Bandes Körper und Seele fest zusammengebunden werden. Ein schönes Bild, finde ich. Mein Bändchen sieht inzwischen schon ein wenig mitgenommen aus, aber ich möchte der Tradition folgen und es so lange tragen, bis es von alleine abfällt.

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Gerne wäre ich noch länger in Hemis geblieben. Und wäre trotz der nach einer Woche Trekking ziemlich müden Beine hoch zur Eremitage gelaufen, wo schon lange bevor das Kloster von Hemis gegründet wurde, Mönche zum meditieren herkamen. Doch wenn wir noch vor Sonnenuntergang in Thikse ankommen wollten, mussten wir langsam los. In Thikse wollte ich übernachten. Ich ließ Ishey und den Fahrer alleine nach Leh zurückkehren. Wie es bei einer Morgenpuja ist und wie sehr sich deutsche Touristen, die in Horden auftauchen, daneben benehmen können, erfahrt Ihr dann im nächsten Blogpost. Bis bald!

4 comments

  1. Was für ein schöner Beitrag, der wieder für ordentlich Fernweh sorgt. Habe schon ein wenig darauf gewartet, wieder einmal etwas über Indien und Nepal zu lesen.

  2. liebe din, ja, ich war thematisch etwas auf abwegen durch das theater-projekt in den kammerspielen. aber jetzt geht es auf jeden fall weiter mit indien! die nächsten posts zu den klöstern sind bereits in der mache. und in fünf wochen fliege ich schon wieder nach indien, da gibt es dann viele neue geschichten :-). liebe grüße, alex

  3. ich find es einfach faszinierend wie viele unglaubliche orte du bereist hast 🙂 dein kopf muss ja platzen vor lauter eindrücken 😀 hmm wenn ich so überlege schreibst du deshalb nen block und fasst gedanken ein buch zu schreiben 😀 ich jedenfalls bin noch nicht weiter gekommen als in die stubaitalhotels… 🙁 ich arbeite zumindest gedanklich an weiteren horizonten 😛
    Grüße von Claudia

  4. liebe claudia,

    mein kopf ist tatsächlich manchmal kurz vorm platzen. da schwirren tatsächlich soviele gedanken und eindrücke herum von den indienreisen, die ich am liebsten alle gleichzeitig zu papier bringen möchte, aber es sind so viele auf einmal, dass das manchmal blockiert. deshalb geht es hier auf dem blog auch artikelmäßig in kleinen schritten vorwärts :-).

    im stubaital ist es doch auch schön, da könnte ich mal wieder zum skifahren hin, mein letzter besuch dort ist schon eine ganze weile her! l

    iebe grüße aus münchen,
    alexandra

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