Ganga Varanasi Ghats

Blogparade „Stadt, Land, Fluss“: Ganga Ma, der heilige Problemfluss

Varanasi. Halb sieben morgens. Wir sind in einem der Holzboote unterwegs, mit denen jeden Tag vor Sonnenaufgang Hunderte von Touristen und Schaulustige über den Ganges geschippert werden. Um den Aberhunderten von gläubigen Hindus dabei zuzusehen, wie sie von den Ghats, den sich kilometerlang am Flussufer aneinander reihenden Badetreppen, hinabsteigen in den heiligen Fluss. Um ihr rituelles Bad zu nehmen, um sich rein zu waschen. In dem Fluss, der Unsterblichkeit verspricht – Moksha, Erlösung, ewiges Leben. In dem Fluss, der in Indien als Göttin verehrt wird, der in Sanskrit 108 Namen trägt, die so poetisch klingen wie „Ewige Reinheit“, „Wein der Unsterblichkeit“ und „Licht in der Dunkelheit der Ignoranz“. In dem Fluss, der als Mutter aller Flüsse gilt, Mother Ganga, Ganga Ma, Mutter Ganges. In dem Fluss, über den Heinrich Heine schrieb:

„Am Ganges duftet’s und leuchtet’s. Und Riesenbäume blühn. Und schöne, stille Menschen vor Lotusblüten knien.“ – Heinrich Heine

Ganges in Varanasi – Leichenverbrennungen 24/7

Am Manikarnika Ghat, dem Verbrennungsghat, lodern Flammen, wie zu jeder Tages- und Nachtzeit. Rund um die Uhr werden hier Leichen verbrannt. Wir sind weit genug weg vom Ufer mit unserem Boot, wir sehen nur die Rauchschwaden, der beißende Geruch bleibt an Land. Zwischen 30.000 und 50.000 Leichenverbrennungen finden Jahr für Jahr in Varanasi statt, berichtet Ashoka, unser Guide. Was er uns nicht erzählt, dass dem Fluss neben der Asche der Toten jedes Jahr auch 200 Tonnen halb verbrannte Leichname übergeben werden. Und dass verstorbene Kinder und Priester nicht verbrannt werden. Sie werden mit Gewichten beschwert direkt dem Fluss übergeben.

Ganga Varanasi Ghat

Ganga Varanasi Ghats

Ganga Varanasi Ghats

Ganga Varanasi Ghats

Unser Boot macht eine Wende und fährt näher heran an die Ghats. An den meisten Ghats baden Frauen und Männer getrennt. Die Frauen gehen vollständig bekleidet ins Wasser. Auf den Badetreppen leuchten bunte, breite Stoffbahnen, Saris, die zum Trocknen ausgelegt sind. Ein Mann steht bis zur Brust im Fluss und gießt sich mit einer Kupferschale Wasser über den Kopf. Auf den unteren Stufen hocken Dutzende von Männern, aufgereiht wie Hühner auf der Stange, im Schneidersitz, oder die Beine im Wasser baumelnd, der Longhi, der sonst um die Hüfte gebunden ist, wie ein Handtuch über die Schulter gelegt. Ein ganz normaler Morgen in Varanasi. Viele kommen vor der Arbeit hierher, haben Seife und Kamm dabei und nutzen das rituelle Bad gleichzeitig für ihre Morgentoilette, erzählt Kunal, der seine Karriere als Banker an den Nagel gehangen hat, um in seiner Heimatstadt Varanasi als Guide zu arbeiten.

Ganga Ma, eine heilige Kloake

Vorsicht beim Aussteigen, heißt es. Es soll auf keinen Fall jemand von uns ins Wasser fallen. Denn der heilige Fluss, die gütige, reinigende Ganga Ma, ist eine Kloake. Das Unsterblichkeitselixier der Hindus, die Lebensader Indiens, die sich über eine Länge von 2.500 Kilometer vom Himalaya durch die nordindische Tiefebene schlängelt und sich im größten Flussdelta der Welt im Golf von Bengalen in den Indischen Ozean ergießt, ist der sechstschmutzigste Fluss weltweit. Tag für Tag fließen schätzungsweise 1,9 Milliarden Liter industrielle und menschliche Abfälle in den Ganges, allein in Varanasi sind es gut 300 Millionen Liter. Beim Aussteigen sehen wir die grünen Abwasserleitungen, die über einen mit Plastikmüll bedeckten Morast liegen und in den Fluss münden.

Mit mehr als 400 Millionen Anwohnern ist der Ganges das am dichtesten besiedelte Flussgebiet auf der Erde. Vielen Menschen in den 114 Städten, die am Ganges liegen, dient er als Trinkwasserquelle, obwohl er mit Fäkalien, ungeklärten Industrieabfällen, Abwässern der Leder- und Seidenfärbereien und Chemikalien der Landwirtschaft verseucht ist. In einer Stadt wie Varanasi liegt der Wert für Kolibakterien mehrere zehntausend Male über dem Normwert.

Naturparadies nur am Ganges-Ursprung im Himalaya

Mit dem Fluss, wie er in der indischen Mythologie beschrieben wird, hat der Ganges an den meisten Orten nicht mehr sehr viel zu tun. Ein Naturparadies mit Wasserlilien, in dem sich Wasserschildkröten und Fische tummeln, an dem sich der flötenspielende Hindugott Krishna erfreut, sucht man vergebens. Grüntürkises, klares Wasser, in dem man nicht Gefahr läuft, dass einem beim Hineintauchen in das Wasser der Fuss abfällt, findet man nur noch an den Ursprüngen des Ganges, wie zum Beispiel in Gangotri. Hier wäre ich bei meinem Besuch im Oktober sogar ganz hineingesprungen, wenn es nicht so kalt gewesen wäre.

Ganga Gangotri

Ganga Gangotri

Ganga Rishikesh

Ganga Rishikesh

Ganga Rishikesh

Ganga Rishikesh

In Rishikesh, am Fuße des Himalaya, kann man zumindest außerhalb der Monsunzeit auch unbeschadet in den Fluss hüpfen. Bei meinem letzten Besuch sah das Wasser sogar richtig einladend aus, grün und erfrischend, mit dem weißen Sand am Ufer fühlte ich mich fast wie an einem Karibikstrand. Während des Monsuns verändert sich der Ganges allerdings in einen braunen, reißenden Strom. Das liegt an dem aufgewirbelten Schlamm. Die Shiva-Anhänger, die Rishikesh bei meinem vorletzten Besuch bevölkert haben, hat das nicht davon abgehalten, sich in die Fluten zu stürzen oder die mitgebrachten Plastikflaschen mit Flusswasser zu füllen, um es mit nach Hause zu nehmen. Ob das Wasser schmutzig oder gar verseucht ist, tut der rituellen und spirituellen Bedeutung keinen Abbruch.

Angeblich kann man das Gangeswasser in Rishikesh sogar trinken. Ich habe es nicht versucht. Doch schon im 25 Kilometer entfernten Haridwar, einem der großen Pilgerorte des Landes, sollte man das tunlichst vermeiden. Das Kolibakterienniveau liegt bei 5.500, 100 Mal höher als der Grenzwert. Ganz zu schweigen von Städten wie Kanpur, wo die 400 örtlichen Gerbereien Salze, Säuren und Chromium ungefiltert in den Fluss leiten. Von dort fließt der Ganges weiter nach Allahabad, wo alle zwölf Jahre die Kumbh Mela stattfindet, eine der größten menschlichen Ansammlungen, die man sich vorstellen kann: An 55 Tagen kommen hier 90 Millionen Menschen zusammen, innerhalb von 24 Stunden nehmen bis zu 30 Millionen Menschen ihr rituelles Bad im Fluss. Bei der letzten Kumbh Mela 2013 hat man die Gerbereien in Kanpur im Vorfeld geschlossen. Die Verunreinigung durch Pilgerfeste wie die Kumbh Mela ist jedoch für sich genommen schon enorm.

„Ganga Action Plan“ gescheitert, jetzt hilft die GIZ

Die indische Regierung hat immer wieder versucht, aus dem Ganges einen sauberen Fluss zu machen, doch der „Ganga Action Plan“ ist immer wieder gescheitert. Die Millionen von US-Dollar, die man in die Projekte gesteckt hat, hat die indische Bürokratie verschluckt. Zuletzt hat sich Premierminister Narendra Modi die Säuberung von Ganga Ma auf die Fahnen geschrieben. Doch auch er wird der Problematik nicht Herr. Er hat sich jetzt Hilfe aus Deutschland geholt, dem Land, das aus dem stinkigen Rhein einen sauberen Fluss gemacht hat. Vor zwei Wochen wurde ein Abkommen mit der GIZ unterzeichnet, die Indien dabei unterstützen will, dass Ganga Ma, das Sinnbild der Reinheit, ihre Reinheit zurückbekommt. Ich bin gespannt, ob dies gelingt.

„If Ganga lives, India lives. If Ganga dies, India dies.“ – Dr. Vandana Shivaji

Mehr darüber, was Ganga Ma, den heiligen Fluss Indiens, so besonders macht, könnt Ihr übrigens hier nachlesen:
Yatra nach Gangotri: Pilgern zu den Ursprüngen des heiligen Ganges
Glamping in „Dev Bhoomi“, dem Land der Götter
Kashi, Benares, Banaras, Varanasi – Die heilige Stadt am Ganges
„Bam Bam Bole“ – bei den kiffenden Shiva-Jüngern in Rishikesh

Blogparade „Stadt, Land, Fluss“ – Ich nehme ein „G“!

Mit diesem Beitrag nehme ich an der Blogparade „Stadt, Land, Fluss – die XXL-Runde“ teil, zur der Sabine von Ferngeweht eingeladen hat. 78 Blogger können dabei die Patenschaft für einen Buchstaben übernehmen und einen Beitrag über eine Stadt, ein Land oder einen Fluss schreiben. „X“ als Land oder Fluss wären noch frei ;-).

9 comments

  1. Was für ein spannender Beitrag – vielen Dank! Schade, was aus dem heiligen Fluss geworden ist …

  2. Ja, mit Umweltbewusstsein hat man es in Indien nicht so :-/. Mal sehen, ob die das mit der GIZ jetzt hinbekommen. Habe gelesen, dass an vielen Orten am Ganges auch die Krebserkrankungen deutlich höher sind als anderswo, wirklich dramatisch!

  3. Super interessant, was Du berichtest, aber eben auch super traurig was wir Menschen so mit unserer Welt machen. Ich stelle mir diese Reiseeindrücke dort sehr bedrückend vor, umso schöner, dass Du auch andere Erfahrungen in diesem Land machen konntest. LG Monika

  4. Liebe Monika,

    ja, es gibt schon viele bedrückende Eindrücke beim Reisen durch Indien, wie auch in anderen Ländern. Die Rituale an den Ghats von Varanasi gehören zum Hinduismus dazu uns werden für uns wahrscheinlich immer befremdlich bleiben. Das Thema Umweltbewusstsein zu verankern ist schwierig, vor allem im ländlichen Raum, wo die Menschen in der Regel andere Sorgen haben. Es gibt bereits viele Initiativen, z. B. gibt es in Orten wie Bodhgaya oder McLeod Ganj keine Plastiktüten. Tropfen auf dem heißen Stein, aber es macht Hoffnung!

    VLG,
    Alexandra

  5. Schade, dass der Ganges an bestimmten Stellen so verschmutzt ist, der Gegensatz zu den Bildern im Himalaya ist ja gravierend. Was ich nicht wusste, ist dass der Rhein ebenso schlimm verdreckt war. Ich hoffe man schafft eine Wende…

  6. Liebe Gudrun, es ist wirklich schade, und dadurch, dass viele Menschen im ländlichen Raum das Wasser trinken, ist es eine zusätzliche Gesundheitsgefährdung. Kalkutta mit dem Gangesdelta ist leider auch so ein Beispiel. Der Rhein war lange Zeit vor allem wegen der Chemieriesen BASF & Co eine Chemiebrühe. Liebe Grüße nach Österreich, Alexandra

  7. Wie Heine habe ich den Ganges auch nicht wahrgenommen. Ich kenne leider auch nur die stinkende Kloake aus Varanasi. Aber wer weiß, vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung wenn das Projekt fruchtet. Ich würde es mir wünschen. Immerhin ist sich die Regierung dem Problem schon mal bewusst und will gegensteuern.

  8. Ja, das man kann nur hoffen. Die Traditionen sind das eine, aber Industrieabwässer dort zu verklappen ist das andere. In Kalkutta sieht die Brühe noch schlimmer aus. LG, Alex

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