Ladakh

Blogparade „Eure schönsten Orte“. Berge, Meer oder doch eine Stadt?

Eigentlich wollte ich heute in die Berge gehen. Nur eine kleine Wanderung, am Tegernsee, hoch zur Aueralm. Nach einer arbeitsreichen Woche am Schreibtisch den Kopf durchpusten lassen, frische Luft tanken, Fußspuren im Schnee hinterlassen, auf der Hütte eine Buttermilch trinken und vielleicht ein Stück Kuchen essen, mich heute Abend frisch und erholt fühlen. Beim Tatort das Gefühl haben, aufgetankt zu haben für die neue Woche. Der Sturm heute früh und die eher mäßigen Wetteraussichten haben mich dann doch davon abgehalten. Beim Frühstück habe ich wieder einmal ein bisschen bei Instagram gestöbert. Und bin dabei auf ein Foto gestoßen von den Sahyadri Mountains, das ist eine Bergkette in der Nähe der indischen Stadt Pune in Maharashtra. Mehr noch als das schöne Motiv hat mich das Zitat, mit dem der Instagrammer Ashishr21 sein Foto begleitet hat, an dem Post verweilen lassen. Ich habe herausgefunden, dass das Zitat von John Muir (1838-1914) stammt, einem schottisch-amerikanischen Naturforscher, der sich sehr intensiv für Naturschutz und die Einrichtung von Nationalparks eingesetzt hat. Seine besondere Liebe galt den Bergen, allen voran der Sierra Nevada in Kalifornien.

„I am losing precious days, I am degenerating into a machine for making money. I am learning nothing in this trivial world of men. I must break away and get out into the mountains to learn new things.“ – John Muir –

Ein Vordenker. Ein Revoluzzer. Ich kann kaum glauben, dass der Mann, von dem diese Aussage stammt, schon mehr als hundert Jahre tot ist. Dass er sich bereits Mitte des 19. Jahrhunderts mit solchen Themen auseinandergesetzt hat. Er beschreibt so treffend ein Gefühl, das mir nicht unbekannt ist. Dass ich aber aus pragmatischen Gründen meistens unterdrücke, vor allem seitdem ich mich selbständig gemacht habe. Ich denke immer, ich bin nur produktiv, wenn ich hinter meinem Laptop an meinem Schreibtisch sitze. Dass ich hier auch mindestens acht bis zehn Stunden sitzen muss, und das am besten auch am Wochenende, weil ich ja Geld verdienen muss. Dabei weiß ich nicht nur ganz genau, wie wichtig eine Auszeit ist, am besten in der Natur, sondern auch, dass oftmals die besten Ideen kommen, wenn ich nicht an meinem Schreibtisch sitze. Sondern im Luitpoldpark joggen gehe. Mich einfach einmal auf eine Bank in die Sonne setze. Oder einen Tag frei nehme und einen Berg hinauf renne. Nur ich. Alleine. Und der Berg.

Wie passend, dass ich beim Frühstück beim Wechseln von Instagram zu Facebook – ich sollte wirklich einmal eine Social-Media-Detox-Kur machen – eine weitere Inspiration gefunden habe, und zwar einen Post meines Iron-Blogger-Kollegen Markus vom Outdoor-Blog. Markus hat zu einer Blogparade aufgerufen „Euer schönster Ort“. Markus ist ein Bergfex, einer der schönsten Orte ist für ihn ein einsamer Berggipfel, auf dem er sich die Sonne auf die Nase scheinen lässt. Für andere ist der schönste Ort vielleicht ein Ort am Meer. Oder eine Stadt. Ich habe viele Lieblingsorte. Das Café in der Augustenstraße, in dem ich heute mit der Freundin, mit der ich eigentlich auf den Berg wollte, zum zweiten Frühstück war. New York ist meine absolute Lieblingsstadt. Neben meiner neuen Liebe Pondicherry. Ein einsamer Strand am Meer, die Füße im Sand, von Wellen sanft umspült – ebenfalls ein Traum. Ein schöner Ort. Doch mir geht das Zitat von John Muir nicht mehr aus dem Kopf. Die Berge. Mein Lieblingsort?

Die Berge. Mein Lieblingsort.

Die Berge. Mein Lieblingsort. Wer hätte das gedacht. Wie ich es als Kind und junge Jugendliche gehasst habe, mit meinen Eltern Sonntags durch die mittelgebirgischen Wälder meiner nordrhein-westfälischen Heimat zu stapfen. „Zieh nicht so einen Flunsch. Guck nicht immer auf den Boden. Erfreu dich lieber an dem schönen Ausblick.“ Die Worte meines Vaters hallen mir noch in den Ohren. Er konnte es auch kaum glauben, als ich ihm im Sommer 2000, ein Jahr, nachdem ich nach München gezogen war, ein Foto schickte. Von der Meilerhütte. Mit mir davor. Die Alex auf einem Berg. Und das auch noch freiwillig. Ja, freiwillig. Und ich fand es sogar richtig toll. Obwohl es angestrengend war. Mich herausgefordert hat. Mich an meine Grenzen gebracht hat. Aber es hat mich auch gelehrt, Herausforderungen anzunehmen und Grenzen zu überwinden. Und ich wurde hinterher mit einem großartigen Gefühl belohnt.

Ich war damals mit echten Bergfexen unterwegs. Andreas war ein paar Monate zuvor auf einer Trekkingtour im Himalaya in Nepal, zusammen mit seinen Eltern. Die waren damals schon über 60. Annapurna, Everest, Kathmandu. Das klang damals alles wahnsinnig aufregend und exotisch für mich. Unerreichbar. Meine „Bergkarriere“ beschränkte sich für die nächsten zehn Jahre auf die Alpen. Und die Münchner Hausberge. Doch Nepal und der Himalaya gingen mir nicht aus dem Kopf. Doch es dauerte bis 2012, bis ich meinen Traum verwirklichen sollte. Seitdem komme ich von der Faszination Himalaya nicht mehr los. Seit meiner ersten Bergtour im Annapurna-Massiv war ich inzwischen schon in drei weiteren Regionen im Himalaya unterwegs. Zuletzt im westlichen Himalaya in Indien, in der Region Garhwal, nahe der Quelle des Ganges. Letztes Jahr im April war ich ganz im Osten, in Darjeeling. Auf meiner Trekkingtour sind wir abwechselnd durch Nepal und Indien gelaufen. 2014 habe ich fünf Wochen in den Bergen von Ladakh und Kaschmir verbracht.

Die Wochen in Ladakh waren sehr besonders für mich. Das Start-up, für das ich gearbeitet habe, war nicht wirklich durchgestartet und nach zehn Monaten wurden ein Kollege aus dem Sales und ich, die Kommunikationstante, „abgebaut“. Ich habe mich damals kurzfristig entschlossen, die sechs Wochen der Freistellung für eine Reise zu nutzen. Mich an einen Ort zurückzuziehen, an dem ich in Ruhe darüber nachdenken konnte, wohin mich mein beruflicher Weg führen soll. An dem ich mir darüber klar werden wollte, was ich eigentlich will vom Leben. Ich flog nach Ladakh, das Land der hohen Pässe zwischen Himalaya und Karakorum. Die Hauptstadt Leh liegt auf 3.500 Metern, schon alleine der Landeanflug war abenteuerlich. Mir kam es so vor, als ob die Tragflächen fast an den Bergen kratzen.

Magisches Ladakh. Back to the basics.

Ladakh hat mir geholfen, meine Gedanken zu ordnen. Beziehungsweise, endlich einmal das Gedankenkarussell zu stoppen. Ich habe viel Zeit alleine verbracht. Bin nach der Akklimatisierung auf den Palastberg gestiegen, auf den Berg mit der Friedensstupa. Habe auf Dachterrassen gesessen. Und immer die Berge im Blick gehabt. Den mächtigen Stok Kangri, den Sechstausender, der nur ein Katzensprung von Leh entfernt ist. Die Luft ist dünn in Ladakh. Die Berge sind majestätisch. Ladakh lehrt einen, ehrfürchtig zu werden. Sich auf das Wesentliche zurückzubesinnen. Einatmen, ausatmen. Auf 3.500 Metern ist es gar nicht so selbstverständlich, dass das problemlos funktioniert. Und dass man die Höhe unbeschadet übersteht.

Die Berge in Ladakh lehren einen auch, Dinge in eine neue Relation zu bringen. Wenn die Luft auf 4.000 Metern dünner und dünner wird, einen Fuß vor den anderen zu setzen nur noch in Zeitlupe möglich ist und man alle fünf Minuten stehen bleiben muss, wird Zeit relativ. Gedanken, Nöte und Sorgen ebenso. Sie verblassen, verflüchtigen sich, verpuffen, und werden mit dem Wind davon getragen, der mir um die Nase weht, je näher ich dem Fünftausender komme. Dass ich gerade meinen Job verloren habe und ich nicht weiß, wie es beruflich weitergeht, wird noch nebensächlicher, als ich oben auf dem Pass stehe, auf knapp 5.000 Metern. Und über mir die roten, grünen, blauen, gelben und weißen Gebetsfahnen wehen und sich unter mir die Zanskarkette ausbreitet, jener Gebirgszug, der noch abgelegener ist als der, in dem ich gerade unterwegs bin.

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Mein Handy funktioniert nicht während dieser neun Tage. Gut so. WLAN gibt es nicht in den Homestays in den kleinen Dörfern, in denen wir übernachten. Maximal ein Satellitentelefon für das ganze Dorf. Für Notfälle. Digital Detox. Endlich. Ich verbringe die Nachmittage damit, mir einen Platz auf einer Anhöhe zu suchen. Auf einem Felsen vor dem Kloster. Oder am Fluss. Beobachte, wie die Sonne die Berge rötlich färbt. Mache den Weg aus, der sich hinter den grünen Feldern zwischen zwei unpassierbar erscheinenden Felsmassiven durchschlängelt und der uns am nächsten Tag auf das Camp auf 4.800 Meter bringt.

In den Momenten, in denen ich auf so einem Felsen hocke, nichts höre außer den Wind in meinen Ohren, da kommen sie wieder zurück, die Gedanken. Doch es kommt mir surreal vor, mir hier, im Himalaya, drei Tagesfußmärsche von der nächsten Straße entfernt, darüber Sorgen zu machen, wie es nach meiner Rückkehr weitergehen soll. Ich schalte sie ab, diese Gedanken. Und versuche einfach, einmal nichts zu denken. Mich nur auf meinen Atem zu konzentrieren. Zur Ruhe zu kommen. Die Achterbahnfahrt der Gedanken zum Halt zu bringen. Im Hier und Jetzt zu sein. Für mich ist das glaube ich eine Lebensaufgabe. Trotz Yoga. Vielleicht für uns alle. Doch ich habe gelernt, die Berge helfen mir dabei. Vielleicht mache ich morgen einfach mal blau und hole den Bergausflug von heute nach.

5 comments

  1. Hi Alex,

    wow, sehr beeindruckend.. Da muss ich irgendwann auch mal hin!

    Und auf dem nächsten Bloggertreffen will ich wissen, wie die Geschichte weitergeht 🙂

    Liebe Grüße
    Flo

  2. Hi Flo, Du als Bergfex und Landschaftsfotograf würdest den Himalaya lieben. Eine traumhafte Kulisse und ein Ort, der Magie verströmt. Ich kann es nur empfehlen. Mehr dazu gerne beim nächsten Treffen! Liebe Grüße und jetzt werde ich mich endlich mal an den Iron-Blog-Post für diese Woche begeben :-), Alex

  3. Wow. Mehr fällt mir nicht ein. Was für unfassbar schöne Fotos!
    Vom Himalaya träume ich, seit ich zum ersten Mal “7 Jahre in Tibet” gelesen habe – und das ist schon ewig her. Zu deinen Trips muss ich dich das nächste Mal ausquetschen. So viele Fragen!

    Lieben Gruß
    Elisa

  4. Der Himalaya ist einfach atemberaubend, vor allem Ladakh hat es mir angetan, diese Region ist durch den Buddhismus so einzigartig und mitten im Hochgebirge stößt man plötzlich auf Klöster. Sehr gerne mehr über die Berge in Indien beim nächsten Treffen :-).

    Liebe Grüße,
    Alexandra

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