Nichts hat sich verändert. „No entry“ prangt in dicken, weißen Lettern auf den beiden rot-grünen Schildern an den schmiedeeisernen Gittern. Den mehrzeiligen Text in Hindi darüber verstehe ich nicht. Vielleicht gibt er einen Hinweis darauf, was sich hinter dem Tor verbirgt, das mit einer dicken Kette und einem noch dickeren Schloss verriegelt ist. Oder er warnt davor, was alles passieren kann, wenn man versucht, über die Mauer zu klettern, um so verbotenerweise auf das Gelände zu kommen. Schlurfende Schritte. Jemand nähert sich. Mit einem großen Schlüssel in der Hand. Wortfetzen auf Hindi schwirren durch die Luft. Irgendwie klingt ein Gespräch auf Hindi für mich immer ein bisschen so, als ob die Gesprächspartner miteinander streiten. Oder zumindest ein wenig aufgebracht sind. Meistens ist das jedoch überhaupt nicht der Fall. So wie hier, vor den Toren des Chaurasi Kutiya Ashrams in Rishikesh. Man einigt sich schnell. Wir dürfen hinein kommen.

Das geht ja schnell. Als ich das letzte Mal hier stand, durfte ich erst nach einer längeren Diskussion und dem Hinüberschieben einiger Rupienscheine durch das Tor treten. Diese verschwanden in Sekundenschnelle in den Hosentaschen des Wachmanns. Eine Quittung oder eine Eintrittskarte gab es nicht. Ob auch dieses Mal Geld den Besitzer wechselte, habe ich nicht gesehen. Das kann ich mir aber auch nicht vorstellen. Denn heute bin ich gewissermaßen offiziell hier, auf Einladung der Regierung des indischen Bundesstaates Uttarakhand, als Teilnehmerin der Uttarakhand Travel Writers’ Tour 2015. Also nicht so wie bei meinem Besuch vor vier Jahren, als ich wie Generationen von Backpackern zuvor den Wachmann bestochen habe, um über das verwilderte Gelände mit den wie Iglus aussehenden Steinhütten pilgern zu dürfen.

Pilgern ist tatsächlich das richtige Wort, wenn es um das verlassene Areal am Rande des Rajaji Nationalparks geht, einem Tigerreservat, das in die Ausläufer des Himalaya übergeht. Was in London ein Foto auf dem Zebrastreifen in der Abbey Road ist, ist hier in Rishikesh ein Foto vor einer der 84 Steinhütten. Am besten in Meditationspose – in Erinnerung an die vier Musiker aus Liverpool, die vor fast 50 Jahren hierher kamen, um sich durch den legendären Maharashi Mahesh Yogi in Transzendentaler Meditation unterweisen zu lassen. Unzählige Geschichten und Legenden ranken sich um die Zeit, die die Beatles in dem Ashram des Gurus verbrachten, den sie 1967 in London trafen. Das war die Zeit, in der die Beatles ihren Liverpool-Look zugunsten indischer, wallender Hemden und langer Haare tauschten und im Zuge ihrer Experimente zur Bewusstseinserweiterung ein wachsendes Interesse an Indien zeigten. George Harrison hatte bereits ein Jahr zuvor längere Zeit in Indien verbracht, unter anderem um Sitar-Unterricht bei Ravi Shankar zu nehmen.

Die „Fab Four“ und Maharashi Mahesh Yogi in Rishikesh

Nach einem weiteren Zusammentreffen auf einem Seminar in Wales lud Maharashi Mahesh Yogi die „Fab Four“ in sein Ashram nach Rishikesh ein. Wo sie 1968 tatsächlich hinreisten, zusammen mit ihren Ehefrauen und einem Tross Journalisten. Hier hatten sie angeblich die produktivste Zeit ihrer Karriere. Ob dies der Transzendentalen Meditation oder dem Konsum bewusstseinserweiternder Substanzen zu verdanken ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Einigen Quellen zufolge sollen John, Paul, George und Ringo im Chaurasi Kutiya, dem Ashram von Maharashi Mahesh Yogi, mehr als 40 Lieder geschrieben haben. Darunter fast alle Songs des Weißen Albums, zwei Lieder, die auf dem Abbey Road-Album erschienen sind, und verschiedene Songs für Soloprojekte.

Ob die Beatles in Rishikesh tatsächlich die Zeit ihres Lebens hatten, darüber gibt es einige Zweifel. Ursprünglich hatten sie geplant, drei volle Monate zu bleiben. Ringo Starr reiste angeblich schon nach zehn Tagen ab. Er vertrug das scharfe Essen nicht, seine Frau Maureen stand mit den Insekten auf Kriegsfuss und beide vermissten die Kinder zu Hause. So packte Ringo seinen Koffer mit den Baked Beans, die er aus England mitgebracht hatte, früher als geplant und kehrte Rishikesh den Rücken. Paul McCartney reiste nach einem Monat ab. John Lennon und George Harrison hielten es etwas länger aus. Doch auch ihr Abgang nach sechs Wochen war recht abrupt. Sie hatten sich in die Wolle gekriegt mit Maharashi Mahesh Yogi. Der Guru schwebte wohl doch nicht so über den weltlichen Dingen, wie man es von einem Guru erwarten würde. Es ging, wie sollte es anders sein, um Geld und um Frauen. Unter anderem soll sich Maharashi Mahesh Yogi an eine der westlichen, weiblichen Gäste herangemacht haben, die zur selben Zeit wie die Beatles in dem Ashram weilte, Mia Farrow. John Lennon schrieb später einen spöttisch Song über den Guru, „Sexy Sadie“, der Liedtext ist bezeichnend: „Sexy Sadie, what have you done? You made a fool of everyone.“

Zwischen „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ und Pop-Art in der Beatles Cathedral Gallery

„Ob-La-Di, Ob-La-Da“, ich habe einen Ohrwurm als ich zwischen den Meditationshütten entlang spaziere. Den eiförmigen Steinhütten sieht man es an, das sie seit über 40 Jahren unbewohnt sind. Zwar traue ich den Treppen, die auf die Dächer hinaufführen, nicht so ganz, doch es heißt, die Gebäude seien noch sicher. Natürlich muss ich mich in Meditationspose ablichten lassen, das ist hier im Beatles Ashram, so hat man das Chaurasi Kutyia Ashram irgendwann getautft, das Gegenstück zum Eiffelturm-Selfie.

Wir sind die einzigen Besucher an diesem Vormittag. Ich bin froh, dass ich nicht alleine unterwegs bin. Ein bisschen gespenstisch ist es schon hier mit den 84 verlassenen Hütten, die der Dschungel sich immer mehr einverleibt. Wir nähern uns der alten Satsang-Halle, dem Herzstück des Ashrams, dem Allerheiligsten. Auf dem Podest oberhalb der Treppenstufen thronte einst der Guru, unten hockten die Beatles und andere Stars und Starlets der Sechziger wie Donovan und Mia Farrow auf der Suche nach Erleuchtung.

Es hat sich einiges verändert seit meinem letzten Besuch in dem verfallenen Gebäude. 2012 durfte sich eine Gruppe Künstler austoben. Zusammen mit dem kanadischen Künstler Pan Trinity Das verwandelten sie die Satsang-Halle mit bunten Graffitis in einen Beatles-Schrein. Seither wird die Halle auch „The Beatles Cathedral Gallery“ genannt. Zwischen den Sprüchen an den Wänden finde ich überall Zeilen aus bekannten Beatles-Liedern, „Tomorrow I’ll miss you“ und  „Let it be“. An der Wand links vom Eingang erinnert ein großes Schwarz-Weiß-Gemälde mit den Köpfen von John, Paul, George und Ringo an den Besuch der Beatles in Rishikesh.

Beatles Ashram auf dem Weg zum indischen Disneyland

Die Graffitis dürfen zum Glück bleiben, auch wenn das Ashram in den letzten Monaten einer Verjüngerungskur unterzogen wurde. Das Ashram, das seit dem Tod von Maharashi Mahesh Yogi in eine Art Dornröschenschlaf verfallen war, soll zu neuem Leben erweckt werden. Nachdem 2010 ein Versuch der Regierung von Uttarakhand, das Gelände in ein Ayurveda Resort umzubauen, gescheitert war, hat man jetzt ehrgeizige Pläne. Das Ashram soll künftig für sechs Monate im Jahr für Besucher geöffnet sein, von Mitte November bis Mitte Juni. Öktourismus heißt das Zauberwort. Man möchte einen Naturpfad durch den Wald anlegen und Touren zur Vogelbeobachtung anbieten. Die Meditationshütten sollen renoviert werden. Darüber hinaus sind ein Café und ein Souvenirshop geplant.

Wir haben die offizielle Eröffnung nur um ein paar Wochen verpasst. Am 8. Dezember 2015, also am 35. Todestag von John Lennon, feierte das Ashram seine offizielle Wiedereröffnung. Dieses Mal nicht als Hort für Sinnsuchende und Anhänger der Transzendentalen Mediation, sondern für Touristen, die dem Ruf der Beatles bis nach Indien folgen und sich in dem Andenkengeschäft mit Devotionalien eindecken können. Ich bin froh, dass ich das Beatles Ashram noch anders kennenlernen durfte. Ob ich bei meinem nächsten Besuch in Rishikesh 600 Rupien ausgeben möchte, um mich mit Heerscharen anderer Touristen in die renovierten Hütten zu drängen, muss ich mir gut überlegen. Vielleicht investiere ich das Geld lieber in eine Ayurveda-Massage oder einen Besuch in der German Bakery in Laxman Jhula. Für 600 Rupien kann ich mir dort mindestens fünf köstliche Zimtschnecken kaufen. Der phantastische Blick, den man von dort auf den Ganges hat, ist sogar umsonst.

Noch mehr Geschichten aus der Yoga-Hauptstadt am Ganges

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*Die Reise erfolgte auf Einladung des Uttarakhand Tourism Development Board. Der Text spiegelt meine eigene Meinung wider.

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